Passwort: Henrietta
Bewegung. Es musste sich um eine Art Sicherheitsaufzug handeln, der vom Empfang aus gesteuert wurde und der verhinderte, dass Herumtreiberinnen wie sie aufs Geratewohl durch die Bank spazieren konnten. Bei der Vorstellung, dass sie den Launen eines Fremden ausgesetzt war, spürte sie ein Kribbeln an den Sohlen.
Der Aufzug kam zum Halt, die Türen öffneten sich. Eine junge schwarze Frau im Businesskostüm erwartete sie.
»Hier entlang, bitte.«
Sie begleitete Harry durch einen Gang mit beigefarbenen, nicht gekennzeichneten Türen. Nichts deutete darauf hin, in welchem Stockwerk sie sich befand oder was hinter den Türen vor sich ging. Die Frau öffnete eine Tür rechts, die ebenso aussah wie alle anderen. Wie konnte sie sie bloß auseinanderhalten?
»Nehmen Sie bitte Platz.« Die Frau trat zur Seite, um sie einzulassen. »Glen wird jeden Augenblick hier sein.«
Harry dankte ihr und trat ein. Die Tür ging hinter ihr zu.
In der Mitte des Raums waren vier Queen-Anne-Stühle um einen niedrigen Mahagonitisch gruppiert. Die Stühle hatten weiße gepolsterte Sitzflächen und verschnörkelte Beine und sahen aus, als würden sie ihrem Rücken nicht guttun. Harry wusste, dass sie dort Platz nehmen sollte. Stattdessen ging sie zum Fenster. Nicht, weil sie die Aussicht bewundern wollte, sondern weil sich gleich daneben ein moderner Arbeitsplatz mit Papieren und einem summenden Laptop befand.
Um den Anschein zu wahren, sah sie eine Weile aus dem Fenster. Rote und blaue Dächer erstreckten sich bis zum Hafen, eine halbe Meile vor der Küste konnte sie Paradise Island sehen, das mit Nassau durch eine Brücke verbunden war. Die Skyline der Insel wurde von einem faszinierenden, blau- und rosafarbenen Bau bestimmt, der wie eine Mischung aus Disneyland und dem Tadsch Mahal aussah. Aus ihrem Reiseführer wusste sie, dass es sich um das Atlantis Resort handelte, das auf knapp vierzehn Hektar extravagante Hotels, Casinos und Lagunen zum Schwimmen bot.
Sie warf einen verstohlenen Blick auf den Laptop. Der Bildschirmschoner war an. Sie stieß mit der Hüfte gegen den Tisch, die Desktopoberfläche erschien und warnte gleichzeitig, dass die Sitzung gesperrt sei. Wie schade.
Sie überflog die Papiere, die auf dem Tisch lagen, auf der Suche nach etwas, das ihr nützlich sein könnte. Unternehmen gaben Millionen aus, um vertrauliche Informationen zu schützen, in Wirklichkeit aber waren es immer die alltäglichen Dinge, die Hacker als erstes Sprungbrett dienten.
An der Wand entdeckte sie das beste Beispiel dafür: die Liste mit den Durchwahlnummern der Bank. Nach einem schnellen Blick über die Schulter zückte sie ihr Handy und richtete die Kameralinse auf die Wand. Sie brauchte zwar mehrere Aufnahmen, aber es dauerte nicht lange, bis ihre Fotos die gesamte Telefonliste abdeckten. Falls nötig, konnte sie sie später zusammensetzen.
Wieder richtete sie die Aufmerksamkeit auf den Laptop. Ein Standardmodell von Dell. Das Netzwerkkabel war leuchtend gelb. Sie verfolgte es durch eine Aussparung im Tisch hinunter zur Netzwerkbuchse am Boden. Auf halber Höhe war das Kabel mit einem blauen Plastikstreifen versehen, auf dem »Port 6-47« stand. Harry starrte darauf und kaute auf ihrer Unterlippe herum.
Hinter ihr klickte der Türgriff. Mit zwei schnellen Schritten war sie wieder am Fenster. Sie drehte sich um. Ein Mann und eine Frau betraten den Raum. Die Frau streckte ihr die Hand entgegen.
»Guten Tag, ich bin Glen Hamilton.« Sie wies auf ihren Kollegen. »Und das ist mein Stellvertreter, Raymond Pickford.«
Harry stellte sich vor und schüttelte ihnen die Hand. Wie blöd, dass sie erwartete hatte, Glen sei ein Mann. Vor allem sie hätte es doch weiß Gott besser wissen müssen und nicht voreilig vom Namen auf das Geschlecht der betreffenden Person schließen dürfen.
Glen geleitete sie vom Schreibtisch hinüber zu den Queen-Anne-Stühlen. »Dort sitzen wir doch bequemer.«
Das bezweifelte Harry, aber sie tat, was man ihr sagte. Sie nahm Glen gegenüber Platz, die den Reißverschluss ihrer Ledermappe aufzog und auf den Knien einen Notizblock bereitlegte.
Sie schien so Ende vierzig zu sein, hatte eine Haut in der Farbe von Tabak, und ihr kurzgeschnittenes Haar betonte die elegante Rundung ihres Kopfes. Ihr Businesskostüm war ganz in Schwarz und hätte Harrys Meinung nach hier und da ein wenig Farbe vertragen. Sie verströmte eine unausgesprochene Autorität, die Harry an ihre letzte Schulleiterin erinnerte, die eine Lüge auf zehn
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