Passwort: Henrietta
die T-Shirts und Piratenhüte verkauften.
Die Sonne brannte ihr wie ein Schweißbrenner auf die Haut. Sie überquerte die Straße, um in die Schattenseite zu gelangen. Taxis hupten, Roller brausten in beiden Richtungen an ihr vorbei. Sie tauchte in den kühlen Schatten der überdachten Gassen ein, ließ den Blick über die Läden schweifen, bis sie das Gesuchte gefunden hatte: einen Handy-Laden. Fünf Minuten später war sie im Besitz eines Geräts mit einer Prepaid-Karte und einer lokalen Nummer. Sie verstaute es in ihrer Handtasche.
Daraufhin schlenderte sie über den Rawson Square, nicht ohne ihren Weg auf dem Stadtplan mitzuverfolgen, und schließlich hinaus zum Hafen. An den Piers hatten zwei hoch aufragende Kreuzfahrtschiffe festgemacht. Seemöwen umkreisten sie kreischend und piesackten die von Bord gehenden Passagiere. An der Kaimauer verkauften Händler in kleinen Booten rosafarbene und grüne Meeresschnecken, die Harry an Wassermelonen erinnerten.
Der Holzpier unter ihren Füßen knarrte, in der Luft lag der Geruch von Algen und Salz. Eine weitere Reihe von Marktständen lag vor ihr, die Souvenirs feilboten: Keramikkrimskrams und Strohhüte, Postkarten und Piratenflaggen, auf denen Totenköpfe mit Augenklappen zu sehen waren,
One-eyed Jacks
genannt.
Harry erstarrte. Etwas in ihren Gedanken rastete ein. Reglos blieb sie stehen, aus Angst, jede noch so kleine Bewegung könnte es wieder auseinanderreißen. Wasser schwappte an den Pier, irgendwo tuckerte ein Außenborder. Langsam drehte sie sich um und starrte auf die Marktstände. T-Shirts, Schlüsselanhänger, Karten und Bücher. One-eyed-Jack-Flaggen waren auf Stöcken aufgezogen. Harry betrachtete die nächste, im Wind flatternde Fahne. Weißer Totenkopf mit gekreuzten Knochen vor schwarzem Hintergrund, eine Augenhöhle von einer Augenklappe bedeckt.
Deuces, aces, one-eyed faces
.
Die kindische Leier fiel ihr, ein Pokerspruch, der besagte, dass Zweien und einäugige Karten als unberechenbare Karten galten. One-eyed Jacks. Sie sah den Pik-Buben vor sich, der in jedem Kartendeck immer nur im Profil, mit nur einem sichtbaren Auge abgebildet war. Der weiße Totenkopf grinste sie an. Vor sich sah sie noch einen weiteren Totenkopf mit gekreuzten Knochen: das Logo von DefCon, das Hacker-Treffen, das sie mit ihrem Vater besucht hatte.
Der Name, den ich gewählt habe, hätte dir gefallen
.
Pik-Bube. One-eyed Jacks. Schädel und gekreuzte Knochen.
Piraten und Hacker.
Sie schloss die Augen, und ein anderes Wort kam ihr in den Sinn, ein Wort, das alles zusammenfasste. Das Pseudonym, das sie in jungen Jahren verwendet hatte. Pirata. Das spanische Wort für Pirat.
Diesmal brachte es etwas zum Schwingen. Bis in ihre Fingerspitzen.
[home]
43
H allo, mein Name ist Harry Martinez. Ich habe für Viertel nach drei einen Termin bei Glen Hamilton.«
Harry trat von einem Fuß auf den anderen, während die Empfangsdame ihren Computermonitor konsultierte. Es fühlte sich komisch an, ihren richtigen Namen zu nennen, wenn sie doch gerade dabei war, ein krummes Ding abzuziehen. Dann erinnerte sie sich, dass der Termin nicht auf ihren Namen vereinbart worden war, und sie kam sich vor, als hätte sie soeben einen gesellschaftlichen Fauxpas begangen. Sie sah sich in der stillen Lobby um. Hatte sie jemand gehört? Leute in Anzügen kamen und gingen, Kassierer erledigten mit leisen, diskreten Stimmen ihre Aufgaben. Kunden bildeten lautlose Schlangen an den Theken, wie Kirchgänger, die sich zur Beichte anstellten. An einem Ort wie diesem schienen Namen etwas Entweihendes an sich zu haben.
Die Rezeptionistin schaute von ihrem Bildschirm auf und strahlte Harry an. Dann beugte sie sich über ihren Schreibtisch und zeigte auf die Kassenschalter links. Das Namensschild an ihrem Revers wies sie als Juliana aus.
»Gehen Sie bis ganz ans Ende und dann nach links, dort sehen Sie drei Aufzüge vor sich. Nehmen Sie den mittleren. Der bringt Sie in den dritten Stock, dort wird Sie jemand in Empfang nehmen.«
Harry dankte ihr und ging zu den Aufzügen, die alle drei offen standen. Sie trat in den mittleren, drehte sich um und wollte auf den Knopf für den dritten Stock drücken. Aber es gab keinen. Den Finger halb in der Luft, überlegte sie, was sie tun sollte. Die einzigen Knöpfe auf der Metallarmatur dienten zum Öffnen und Schließen der Tür und zum Auslösen des Alarms. Doch bevor sie weitere Überlegungen anstellen konnte, glitt die Tür zu, und der Lift setzte sich in
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