Passwort: Henrietta
mit braunen Blumenmustern dekoriert, in der Luft lag ein Hauch Kanalisation. Harry zuckte mit den Schultern. Fünf-Sterne-Lobby, Zwei-Sterne-Zimmer. Es spielte keine Rolle. Wenn alles nach Plan lief, würde sie morgen um diese Zeit schon wieder fort sein.
Sie warf ihren Koffer aufs Bett und schälte sich aus der Kleidung, die ihr an der Haut klebte, trat unter die Dusche und kühlte sich unter dem lauwarmen Rinnsal ab. Dann, in ein Badetuch gewickelt, setzte sie sich aufs Bett und holte ihren Reiseführer heraus. Laut der Karte führte die Bay Street, die Hauptdurchgangsstraße im Stadtzentrum, im Osten zur Brücke nach Paradise Island und im Westen zum Cable Beach. Sollte von hier aus also eine kurze Fahrt mit dem Taxi werden.
Als sie daran dachte, was bevorstand, wurde ihr mulmig. Sie brauchte noch immer das Codewort ihres Vaters. Sie konnte versuchen, ohne den Code auszukommen, aber ihre Erfolgsaussichten dürften in diesem Fall verschwindend gering sein.
Sie warf den Reiseführer aufs Bett und zog den Zettel heraus, auf dem sie die Einzelheiten notiert hatte. 7-2-5-5-9- 3-5-3-J. Wofür stand der Buchstabe J? Fand er sich nur, um die Pokerhand zu vervollständigen, oder hatte er eine besondere Bedeutung? Sie klopfte mit dem Mittelfinger darauf. J für was? J für Jack. Bube. Jack was? Sie musste an die Worte ihres Vaters denken, als sie ihn im Gefängnis besucht hatte.
Der Name, den ich gewählt habe, hätte dir gefallen
. Seufzend schüttelte sie den Kopf.
Sie wuchtete die blaue Reisetasche ihres Vaters aufs Bett, froh, sie mitgebracht zu haben, und wühlte durch den Inhalt, bis sie das Pokerbuch gefunden hatte. Erneut besah sie sich die Notationen auf der Umschlagseite. Js. Jack of Spades. Pik-Bube. Die Riverkarte. War das das Codewort ihres Vaters? Jack Spades? Oder Jack Rivers? Sie runzelte die Stirn. Beides klang falsch. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass der Name bei ihr mehr zum Schwingen bringen müsste.
Sie schloss die Augen und dachte an ihren Vater. Am Tag zuvor war sie spätabends noch einmal im Krankenhaus gewesen. Laut den Schwestern hatte sich sein Zustand nicht verändert, Harry allerdings war es vorgekommen, als wäre er noch mehr in sich zusammengeschrumpelt. Sie stellte sich vor, wie ihre Familie nun dort sitzen würde; ihre reservierte Mutter, die fahrige Amaranta und ein leerer Stuhl, auf dem sie sitzen sollte. Sie schlug die Augen auf und verscheuchte das Bild. Sie hatte abreisen müssen, sie hatte keine andere Wahl gehabt.
Sie sah auf die Uhr. Zeit, um sich fertig zu machen. Sie löste das Handtuch und schlüpfte in das Kleid, das sie am Flughafen in Dublin gekauft hatte. In einer kleinen Designer-Boutique, die sie normalerweise mied, in der sie aber ein elfenbeinfarbenes Kleid mit passender Handtasche und passenden Schuhen gefunden hatte. Zusammen hatte alles mehr als eine Woche auf den Seychellen gekostet, aber es sah teuer aus, und nur darauf kam es an. Um ihre Kreditkartenabrechnung würde sie sich später kümmern.
Die Seide fühlte sich wie kühles Wasser auf ihrer Haut an. Das enganliegende Oberteil wurde von dünnen Spaghettiträgern gehalten, die so viel Haut freiließen, dass sie sich um einen Sonnenschutz kümmern musste. Sie trug mehr Make-up also sonst auf, hatte die Augen betont und die Schnitte und Schrammen übertüncht. Sie band ihr Haar zu einem so festen Knoten, dass ihr Tränen in die Augen traten. Dann schlüpfte sie in die Schuhe und betrachtete sich im Spiegel. Die weiche, glänzende Seide ließ ihre Haut schimmern, der straffe Knoten zog ihren Haaransatz und die Brauen nach oben und verlieh ihr einen hochnäsigen Gesichtsausdruck.
Zum ersten Mal erkannte sie eine starke Ähnlichkeit mit ihrer Mutter.
Sie setzte ihre Sonnenbrille auf, griff sich die Handtasche und ging ins Foyer. Vor dem Hotel rief sie sich ein Taxi, und kaum fünf Minuten später traf sie in der Bay Street vor der Rosenstock Bank ein.
Harry sah zum blauen, von Säulen umgebenen Gebäude, in dem die Zentrale der Bank lag. Ihr wurde mulmig. Sie atmete ein paar Mal durch und sah erneut auf ihre Uhr. Sie hatte fast noch eine Stunde bis zu ihrem Termin. Sie beschloss, sich wie eine Touristin zu benehmen, damit sich ihre Nerven beruhigen konnten. Außerdem stand ja noch eine Sache an.
Sie ging durch die Bay Street. Büroangestellte und Flitterwöchner-Pärchen drängelten sich dort, ein Laden folgte auf den nächsten: Designer-Boutiquen mit Fendi- und Gucci-Artikeln gleich neben Souvenirshops,
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