Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Passwort: Henrietta

Passwort: Henrietta

Titel: Passwort: Henrietta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ava McCarthy
Vom Netzwerk:
in der Mitte des Raums aufgeschlichtet. Dosen, Pfannen, Gläser, Lebensmittel aus dem Kühlschrank. Die Besteckschubladen waren umgedreht in den Haufen geworfen. Die Schranktüren standen offen und zeigten die leeren Regalbretter. Als hätte ein Irrer in einem psychotischen Anfall von Küchenputz gewütet.
    Harry sank gegen den Türrahmen. Mein Gott, wer machte so was? Dillon umkreiste kopfschüttelnd den Lebensmittelberg. Sie seufzte, schritt dann durch den Gang, um in ihrem Schlafzimmer nachzusehen. Es befand sich im selben Zustand wie die übrige Wohnung; Schubladen waren durchwühlt, ihre Kleidung verteilt. Nichts mehr von diesen Sachen würde sie noch tragen wollen.
    Das Telefon neben ihrem Bett blinkte rot, ein stummer Schrei nach Aufmerksamkeit. Sie bemerkte ein vertrautes, abgegriffenes Buch, das mit den Seiten nach unten auf dem Bett lag, so weit aufgeschlagen, dass der Rücken gebrochen war; so lag es da, wie ein Vogel mit verletztem Flügel. Sie hob es auf, einige Seiten flatterten heraus. Ein Buch, das ihr Vater ihr geschenkt hatte, als sie zwölf Jahre alt gewesen war:
Wie man Poker spielt und gewinnt
. Auf den Umschlagseiten vorn und hinten waren mit blauem Faserschreiber Bemerkungen gekritzelt. Damit hatte sie einige Pokerrunden aufgezeichnet, die sie mit ihrem Vater gespielt hatte. Eine Angewohnheit, die sie von ihm gelernt hatte. Nach jeder Partie hatte er sich ausführliche Notizen gemacht, hatte die Karten notiert, die gespielt worden waren. Er vergaß nie ein Blatt, und er ließ sich von keinem Bluff zweimal täuschen.
    Sie war sechs oder sieben gewesen, als ihr Vater sie zum ersten Mal zu seinen Pokerrunden mitgenommen hatte, die sich oft bis drei oder vier Uhr morgens hinzogen. Bei diesen Runden hatte sie einige ihrer besten Flüche aufgeschnappt, meistens aber war sie irgendwann auf einem Sofa eingeschlafen, während ihre Augen vom Zigarettenrauch gebrannt hatten. Später, als Teenagerin, hatte er sie nach London in die Kasinos in Soho und am Piccadilly geführt. Zu jener Zeit war sie sich unheimlich erwachsen vorgekommen, alles war ihr so aufregend erschienen. Im Nachhinein musste sie sich eingestehen, dass er nur ein miserabler Vater gewesen war.
    Sie drehte das Vorsatzblatt des Pokerbuchs um. Die Inschrift war, wie sollte es anders sein, immer noch da.
    A mi queridísima Harry,
    sei immer unberechenbar. Spiel wild drauflos und lass sie im Ungewissen, aber steig bei einem 7-2 Offsuit immer aus.
    Un abrazo muy fuerte,
    Papá
    Sie strich mit dem Daumen über die kräftige Handschrift. Dann klappte sie das Buch zu und wiegte es in den Händen, damit die Seiten nicht herausflatterten.
    Dillon steckte den Kopf zur Tür herein. »Dein Arbeitszimmer und das Bad sind verwüstet.«
    Harry fluchte. Es reichte. Sie klatschte das Buch auf den Nachttisch, blendete ihr pochendes Knie aus und ging zurück ins Wohnzimmer.
    Dillon folgte ihr. »Ich ruf die Polizei.«
    »Schon gut, ich mach es.«
    Dillon ging im Zimmer auf und ab, während sie die nächste Polizeidienststelle anrief. Sie erzählte alles einem mitfühlenden Sergeant, der meinte, er würde jemanden vorbeischicken. Dann klappte sie das Handy zu und wühlte sich in den Bücherhaufen am Boden, bis sie die Gelben Seiten fand.
    Dillon blieb stehen und sah ihr zu. »Und jetzt?«
    »Einen Schlosser.« Sie klappte erneut ihr Handy auf und führte ein sachliches Gespräch mit einer Firma namens Express Locksmith, die ihr versicherte, in zehn Minuten würde sich ein Mitarbeiter in Bewegung setzen. Harry spürte, wie ihre Energie zurückkehrte. Absurd, wie übereifrige Geschäftigkeit einen zu dem Glauben verleiten konnte, man hätte alles im Griff.
    Sie hockte sich gegen das Sofa und massierte sich Nacken und Schultern, die sich steif und empfindlich anfühlten, als müsste sie mit einer Erkältung rechnen. Dann fiel ihr das blinkende Licht im Schlafzimmer ein, und sie eilte zurück, um sich ihre Nachrichten anzuhören. Es gab nur eine. Sie erkannte die kehlige Stimme ihrer Mutter, die durch jahrelangen schweren Nikotingenuss tief und rauh geworden war.
    »Harry, hier ist Miriam.«
    Eine Pause, in der zu hören war, wie ihre Mutter an einer Zigarette zog.
    Seit ihrem letzten Schultag redeten Harry und ihre Mutter sich mit Vornamen an. Als hätten sie beide stillschweigend die Übereinkunft getroffen, dass mit ihrem achtzehnten Geburtstag die Mutter-Tochter-Beziehung zu Ende gekommen wäre.
    »Ich versuch dich schon den ganzen Tag zu erreichen, immer geht

Weitere Kostenlose Bücher