Passwort in dein Leben
grüne Stiele und mit dem Finger gestempelte Blüten. Aber ich dachte immer, das sei normal.
»In unserem Kinderladen malt jeder, was er will. Auf riesiges Papier!«
»Warum gehst du da dann nicht hin?«, frage ich.
»Wir sind hierhergezogen«, sagt sie. »Wegen meinem doofen Bruder. Aber jetzt wohnt der doch nicht bei uns!«
»Ich hab keinen Bruder«, murmle ich und kapiere überhaupt nichts. Brüder wohnen doch immer mit den Schwestern zusammen, oder?
»Egal«, sagt sie. »Verstecken wir uns?«
Und wir verkriechen uns im Materialzimmer, sitzen unter dem Regal und sie erzählt mir, dass sie Clara heißt und in einem alten Schloss wohnt, fast wie eine Prinzessin. Ihre Erzählung hört sich an wie eine ganz andere Welt.Dort gibt es russische Hausmädchen, eine Mutter mit vielen Goldketten und einen Vater, der Golf spielt. Außerdem erzählt sie von sprechenden Mäusen, einem kleinen Drachen, der unsichtbar ist und ihr Freund, und einem bösen Hausgeist, den sie eigentlich in der Wohnung in Berlin zurücklassen wollten, der aber heimlich in der Hutschachtel des Hausmädchens mitgereist ist. So ganz kann ich das alles nicht glauben, aber ich bin so fasziniert, dass ich nichts davon sage. Sie verspricht, mir den Geist zu zeigen, wenn ich sie einmal besuche.
»Sofie!« Meine Mutter klopft an die Klotür. »Hast du die Grippe?«
Ich schüttle den Kopf. Aber das sieht sie natürlich nicht.
Vielleicht ist das alles ein doofer Traum. Vielleicht wache ich gleich auf und es ist ein dreiviertel Jahr früher und Clara und ich schlecken das erste Eis des Jahres, während es auf unsere behandschuhten Finger schneit.
»Sofie?«
»Bin gleich da«, sage ich und drehe das Wasser auf. Eiskalt. Lasse es über meine Handgelenke laufen, wische mir damit über die Augen. Geh, denke ich. Aber das tut sie natürlich nicht.
Als ich die Tür aufmache, lehnt sie an der grün gestrichenen Wand gegenüber. Ich war von Anfang an gegen dieses langweilige Grün. Gelb wäre schoneher was gewesen, oder warum nicht mal irgendwas richtig Buntes?
Sie stößt sich ab, hebt mein Kinn. Ihre Hand ist kühl, ihr Blick mustert mich.
»Was ist los?«, fragt sie.
Ich zucke die Achseln und weiche ihr mit den Augen aus.
»Du bist blass. Hast du etwa viel Alkohol getrunken?« Ungläubigkeit in ihrer Stimme. Sie glaubt nicht, dass ich trinken könnte.
»Zu wenig Schlaf«, sage ich.
»Komm!« Sie legt ihren Arm um mich. »Da hab ich genau das Richtige für dich. Ich presse dir einen Saft.«
Und seltsamerweise hat sie recht. Saft wäre jetzt wirklich nicht schlecht.
Mein Vater ist mit Maren in den Garten gegangen, zeigt ihr die neu gepflanzten Rosen. Er ist ziemlich stolz auf seinen Duftgarten. Manchmal sitzt er stundenlang dort und freut sich an all den Schmetterlingen und Insekten, die vorbeifliegen und mal kurz auf einer der Blüten Rast machen.
Ich setze mich hin, während meine Mutter in der Küche verschwindet. Die Zeitung. Sie liegt genau vor mir. Ein wenig zerknüllt. Ich schiele drauf, lese die Schlagzeilen. Clara. Und bevor ich genau nachdenken kann, habe ich sie auch schon aufgeschlagen.
Ich erkenne sie natürlich sofort. Und aus irgendeinem seltsamen Grund fängt mein Herz an, heftig zu klopfen. Sie steht an den Schiffsmast gelehnt da, das gleiche freche Grinsen wie schon im Kindergarten. Blitzende Augen. Ihre Haare sind zu Dreadlocks verknotet, zurückgehalten durch ein Tuch. Außerdem trägt sie eine dieser Haremshosen und ein gestreiftes enges Top.
Klassenzimmer ahoi
30 Schülerinnen und Schüler waren sechs Monate lang auf einem ganz besonderen Schulabenteuer: Die Jugendlichen segelten um die Welt und wurden an Bord unterrichtet.
Unter ihnen auch die 16-jährige Clara von Heuyern aus Lindau.
»Es war der Wahnsinn«, sagt Clara und ihre blauen Augen strahlen. »Ein richtiges Abenteuer.« Am besten hätte sie gefunden, wie alle zusammenhalten mussten, als das Schiff in einen Sturm geriet, und die Aufenthalte in den fernen Ländern (die Gruppe war in Kuba und Venezuela jeweils zwei Wochen auf Landgang). Auf die Frage, was ihr nicht gefallen hätte, muss Clara erst mal nachdenken. Dann antwortet sie: »Mit so vielen Leuten auf so engem Raum zusammen zu sein, ist auf Dauer schon ganz schön hart. Ich sehne mich ein wenig danach, mal wieder ganz allein zu sein. Das hätte ich vorher nie gedacht« …
Ich muss schmunzeln. Clara hasst es eigentlich, allein zu sein, am liebsten war ihr immer, wenn ich bei ihr übernachtet habe. So hat
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