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Passwort in dein Leben

Passwort in dein Leben

Titel: Passwort in dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Stehle
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kalt. Ich schlinge die Decke um mich.
    Aus dem Flur kommt ein Geräusch. Blitzschnell schiebe ich Block und Stift unter mein Kissen, knipse das Licht aus.
    Wirklich, draußen sind Schritte zu hören. Ich merke, dass ich die Augen viel zu fest zukneife.
    Meine Tür knarrt ein kleines bisschen, als sie aufgeht.
    Helles Licht dringt durch meine geschlossenen Augen.
    Die Person kommt näher.
    Am Geruch erkenne ich meine Mutter.
    Sie beugt sich über mich und streichelt mir kurz über das Gesicht.
    Dann geht sie wieder hinaus.
    Als ich die Augen wieder aufmache, ist es, als wäre sie gar nicht da gewesen.
    Da sind nur noch ihre Schritte, die immer leiser werden, bis sie im Schlafzimmer verschwindet.
    Ob Marion schon verrückt war, als sie von den Ballons erzählt hat?
    Einmal, vor ein paar Jahren, habe ich mit Clara darüber geredet. Sie meinte: »Schwer zu sagen. Aber ich denke, das war einfach nur was, was sie erfunden hat. Vermutlich hatte sie viel Fantasie.«
    Plötzlich will ich wissen, was sie wirklich hat. Ob sie Dinge tut, an die sie sich nicht erinnern kann. So könnte ich auch herausfinden, ob ich vielleicht doch verrückt bin. Ich könnte auch ganz unauffällig mit dem Arzt, oder wer auch immer dort die Leute betreut, reden. Die Einrichtung, in der sie lebt, heißt »Haus Sonnenblume« und liegt oben im Allgäu, in der Nähe von Lindenberg. Ich weiß noch, dass ich mir den Namen gemerkt habe, weil er mir so seltsam vorkam, so unpassend irgendwie. Viel zu fröhlich. Aber vielleicht wollen sie genau das. Dass die Leute dort das Gefühl haben, sie wären im Urlaub auf dem Ponyhof oder so.
    Ich merke, dass ich Angst habe. Verrückte machen mir Angst. Ich finde sogar schon Kiffen total unheimlich. Julia hat deshalb zu mir gesagt, dass ich ein Kontrollfreak bin. Aber ich kann das einfach nichtändern. Ich möchte gerne wissen, was ich tue, wer ich bin, meine Gedanken irgendwie steuern können. Und jetzt passiert ausgerechnet mir so was. Ich habe keine Wahl. Muss mich wohl dem Ganzen stellen. Am besten gleich morgen, sonst traue ich mich sicher nicht mehr. Vorsichtig knipse ich das Licht noch einmal an.
    Es blendet in meinen Augen und dauert eine Weile, bis diese sich an die plötzliche Helligkeit gewöhnt haben.
    Das Blatt in meinem Block ist total zerknittert. Ich streiche es glatt, so gut es geht, und ergänze Punkt a) mit Marion besuchen.
    Dann schreibe ich darunter:
    Plan für morgen:
    – Marion besuchen und herausfinden, ob ich normal bin
    Hindernis:
    Mutter hier
    Ideen:
    + Sie ablenken und zum Fenster rausklettern
    + Sie aus dem Haus locken (Medikament kaufen? Oder bestimmtes Essen?)
    Am nächsten Morgen wieder dieses Pochen in meinen Ohren. Als wäre mein Herz dorthin gerutscht. Zusammengekauert unter dem Fenster, damit ich vonaußen nicht zu sehen bin, beobachte ich, wie meine Mutter die Straße hinuntergeht. Plötzlich sieht sie sich um, als würde sie meine Blicke spüren. Aber dann sehe ich, dass sie nur mit Frau Weber redet, deren Dackel gerade in Lohmanns Hecke kackt.
    Ich habe nicht viel Zeit. Sie hat sogar angekündigt, dass sie sich beeilen wird. Es war nicht einfach, sie davon zu überzeugen, dass ich unbedingt ein frisches Smoothie brauche.
    Mit zitternden Fingern schlüpfe ich in meine unauffälligsten Kleider, dunkle Jeans, dunkler Pullover. Ich hoffe, mein Geld reicht noch. Und ein Bus kommt. Ich habe keine Ahnung vom Fahrplan,konnte nicht recherchieren. Meine Eltern haben mein Laptop behalten und ich konnte ihn schlecht zurückfordern, weil meine Mutter gemeint hat: »So kann sich alles klären. Wir schließen das Ding in den Aktenschrank und du kannst nichts posten, weder bewusst noch unbewusst. Und falls du es nicht gewesen bist, dann kommt das so auch heraus. Solange du im Haus bleibst zumindest.«
    Ich glaube nicht, dass das als Beweis genügt. Aber ich halte meinen Mund. Einfach, um sie nicht misstrauisch zu machen, füge ich mich in alles, was sie will.
    Nieselregen. Schon wieder. Früher habe ich den Herbst geliebt. Da war alles voller Kastanien, aus denen man kleine Welten bauen konnte, und Claraund ich haben uns in Blätterbergen gewälzt und uns mit Blättern als Monster verkleidet. Außerdem war klar, dass nach dem Herbst der Winter kommt. Immer habe ich auf Schnee an Weihnachten gehofft. Jetzt finde ich es nur noch kalt und habe Sehnsucht nach dem Sommer. Kalt und dunkel.
    Ich gehe den schmalen Pfad am Nachbarhaus Richtung See. Mein Oberkörper drängt nach vorne und meine Füße

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