Pasta Mortale
verlassen. Dem bösen Weib, das sich vorher vor allem im
internationalen Ruf ihres Mannes gesonnt hatte, waren die schlechten Zeiten
rasch zu anstrengend oder auch nur zu langweilig geworden. Das herzlose Ding
soll beim Verlassen der gemeinsamen Wohnung doch tatsächlich gesagt haben: »So
ist das Leben eben. Zuerst kannst du nichts mehr riechen, und jetzt kann ich
dich nicht mehr riechen.«
Schlampe, grausliche, dachte Kracherl und betrachtete den
relativ klein gewachsenen ehemaligen Wunderriecher mitleidig. So schnell konnte
das Schicksal zuschlagen und einen zerschmettert zurücklassen. Na, vielleicht
konnte er dem armen Teufel ja irgendwie helfen.
»Werner, schön, Sie mal wieder zu sehen«, Kracherl war
aufgestanden und dem Mann entgegengegangen. »Was möchten Sie trinken? Kaffee,
Tee oder ein Wasser?«
Lommel tat dieser freundliche Umgang gut. Bei den meisten
seiner bisherigen Gespräche war er, falls es ihm überhaupt gelungen war, an den
gewünschten Gesprächspartner heranzukommen, wie ein Aussätziger behandelt
worden. Meistens hatte man ihm nicht einmal einen Stuhl angeboten, geschweige
denn etwas zu trinken. »Danke, ein Mineralwasser wäre schön.«
»Mit oder ohne Gas?«, erkundigte sich Kracherl.
»Lieber ein stilles«, wünschte sich Lommel, und sein
Gastgeber ging zu einem kleinen Kühlschrank, um das Gewünschte zu entnehmen.
Dann wandte er sich an den Besucher. »Und was verschafft mir die Freude Ihres
Besuchs?«
Lommel zögerte ein wenig. Es lag ihm nicht, zu jammern oder
zu betteln. Andererseits hatte es aber wenig Sinn, so zu tun, als ob ohnehin
alles in Ordnung wäre. Es war nicht so einfach.
»Sie wissen ja«, begann er schließlich, »was mir widerfahren
ist. Ich brauche Ihnen also nicht heile Welt vorspielen. Ich bin am Ende oder
zumindest knapp davor. Ich habe keine Arbeit, meine Berufsunfähigkeit ist
offiziell, aber nach wie vor nicht anerkannt. Ich habe also weder ein
Erwerbseinkommen noch eine Rente, lediglich das bisschen Notstandshilfe, das
das Gesetz vorsieht. Und das ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.
Bitte, Herr Kracherl«, er blickte den Gastronomen flehend an, »ich will keine milden
Gaben, ich will Arbeit. Es muss doch Arbeit geben, für die ich auch ohne
Geruchssinn ausreichend qualifiziert bin.«
Kracherl wirkte erschüttert, Lommel kannte diese Reaktion
seiner Gesprächspartner bereits von früheren Anlässen. Jetzt würde sein Gegenüber,
für den es lediglich ein Klacks wäre, etwas für ihn zu tun, gleich unruhig
werden und auf die Uhr blicken. Und dann würde rasch das übliche
Abschiedsritual einsetzen, vielleicht noch garniert mit 100 oder 200 Euro
Ablasszahlung. Um das schlechte Gewissen im Zaum zu halten.
»Ich habe mir Folgendes überlegt«, erwiderte Karl Heinz
Kracherl für Lommel plötzlich völlig überraschend. »Sie sind doch ein
erfahrener Mann, ein Mann mit intellektuellem Spürsinn und einer guten Na…
Pardon, das war nur im übertragenen Sinne zu verstehen.«
Lommel begann, schallend zu lachen. Nicht wegen des
Beinahe-Hoppalas mit der ›Nase‹, wie sein Gastgeber vermuten musste. Das wäre
natürlich auch ein guter Grund gewesen. Sprache mit ihren Bildern konnte
unfreiwillig schon sehr lustig sein. Und auch sehr verletzend.
Kracherl, der einen roten Kopf bekommen hatte, war froh, dass
sein Besucher so auf die gerade noch verhinderte Taktlosigkeit reagierte und
nicht verletzt oder beleidigt. Wirklich, der Mann hatte Stil, dachte er. Warum probieren
wir es nicht einfach mit ihm?
»Ich weiß nicht, ob Sie mitbekommen haben, mit welchen
Problemen die Wiener Gastronomie oder einige ihrer Vertreter in den letzten
Tagen konfrontiert waren«, begann Karl Heinz erneut. Lommel reagierte nicht
weiter auf die Frage, sodass sich der geschäftsführende Vizepräsident des VWG veranlasst
sah, ihm die ganzen Grauslichkeiten detailliert darzulegen.
»Die Polizei hat nun eine Sonderkommission eingesetzt, die
sich speziell mit der Aufklärung dieser Fälle, aber auch mit der Prävention
befassen soll«, fuhr Kracherl fort. »Der VWG , also der Verband Wiener Gastlichkeit
benötigt nun einen fachlich kompetenten Vertreter, der die Interessen des
Verbandes in der Zusammenarbeit mit der Polizei vertritt. Trauen Sie sich das
zu?«, er blickte Lommel fragend an. »Ich könnte mir keinen besseren Mann für
die Aufgabe vorstellen.«
Lommel war sprachlos. Dass man gerade ihm diesen Job anbot,
war
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