Pasta Mortale
Ordentlich laut. Aber Gica liebte seinen Gesang, und
viele Menschen mochten den lustigen Mann aus Triest so sehr, dass sie seine
Arien in Kauf nahmen.
Im Sommer vor einem Jahr hatte Gica es sogar geschafft, die
Rolle des Kammerdieners des Prinzen Orlofsky beim Operettensommer in Baden zu
ergattern. Nur die Zweitbesetzung, aber immerhin eine Chance, seine Stimme
unter Beweis zu stellen. Man konnte sich gar nicht vorstellen, wie sehr
Giancarlo, der als Italiener Verdi, Rossini und Puccini natürlich besser kannte
als Johann Strauß, enttäuscht gewesen war, nachdem er erkannt hatte, dass es
sich bei dem Ivan ausschließlich um eine reine Sprechrolle eher geringen
Umfanges handelte.
Aber bitte, er hatte die Fledermaus kennen- und schätzen
gelernt. Und dabei auch seine Lieblingsrolle, die des Gesangslehrers und
Rosalindeverehrers Alfred entdeckt. Seitdem war kein Tag vergangen, an dem Gica
nicht mindestens drei- bis viermal ein fröhliches ›Täubchen, das entflattert
ist‹ angestimmt hätte. Und er hatte auch keine Gelegenheit ausgelassen, Helmut
Ondrasek mit dem Projekt einer Döblinger Fledermaus in den Ohren zu liegen. So
lange und penetrant, dass der gutmütige Patron der Theatercompany und leidliche
Bariton schließlich zugestimmt und gleichzeitig auch die Rolle des
Gefängnisdirektors Frank für sich reserviert hatte.
Palinski sah in dem stilisierten Kosakenkostüm eigentlich
nicht schlecht aus. Seine nicht mehr wegzuleugnende mittelleichte Wampe wölbte
sich keck über dem breiten Gürtel des Kammerdieners Ivan. Gut, dass er in
dieser Rolle nicht singen musste. Andererseits aber auch wieder irgendwie
schade. Komisch, dass gewisse Dinge, die man gerade gar nicht kann, so
attraktiv für einen sein konnten.
»Es wird Zeit für deinen nächsten Termin«, Margit
beugte sich liebevoll über das riesige Kind, das da locker und entspannt auf
der Couch lag. »Ohne dich klappt es doch nicht bei dem Fest des Prinzen
Orlofsky. Und ein, zwei Telefonate musst du vorher auch noch erledigen. Das
hast du mir versprochen.«
»Da, da«, murmelte Ivan Palinski verschlafen und setzte sich
langsam auf. »Wie spät ist es denn eigentlich?«
*
Langsam wurde Franz Ferdinand Lehberger, dem
sonst nicht zu Aberglauben und dergleichen mehr neigenden Herausgeber, die
Häufung an unerklärlichen Todesfällen im Umfeld seines neuen
Gastronomie-Führers doch etwas unheimlich.
Da war zunächst der Unfall des Bankmenschen
gewesen, der ihm die Aufstockung des Kreditrahmens mit dem Hinweis verweigert
hatte, dass diese »Restaurantführer ja lediglich Zeitgeistscheiß sind, mit dem
man heute kein Geld mehr verdienen kann«. Schön, dass nicht alle Kreditgeber so
dachten, aber dass der Banker zwei Tage später beim Betreten des Liftes im
zwölften Stock keine Gondel, sondern nur nach unten hin eine große gähnende
Leere vorgefunden hatte, hatte Lehberger betroffen gemacht. Auch wenn er dem
Mistkerl von Bankmenschen unmittelbar nach der negativen Nachricht alles
Schlechte an den Hals gewünscht hatte.
Als Nächstes hatte es den langjährigen Journalisten und Gastronomiekritiker
Johann ›Jo‹ Grusinek auf der Heimfahrt nach dem Test des ›Le Jolly Poulard‹
erwischt. Der zugegebenermaßen leicht betrunkene Grusinek war in der
U-Bahnstation Schwedenplatz vor eine einfahrende Garnitur gestürzt und hatte
das nicht überlebt. Auch dieser Fall bestach durch den absoluten Mangel an
Transparenz, diesen dichten Schleier an Vermutungen und Spekulationen, die Jos
Ende ausgelöst hatte. Das war vor knapp drei Wochen gewesen.
Dann die Geschichte letzten Dienstag nach dem
Presseempfang in der ›Villa Caprese‹. Diese nach wie vor ungeklärte Explosion
in der Küche, die Küchenchef Lois Brenneisl fast den rechten Arm gekostet
hätte. Der talentierte Kochkünstler, der heuer sicher für den dritten Goldenen
Kochlöffel fällig gewesen wäre, lag noch immer im Krankenhaus und hatte Glück
gehabt, überhaupt noch am Leben zu sein. Mit dem kreativen Kochen war es
zumindest für die nächsten Jahre vorüber.
Und jetzt das. Ein toter Gast im ›Desirée‹, wie ihm Mario
Palinski, der für Jo Grusinek als Tester eingesprungen war, eben telefonisch
mitgeteilt hatte. Natürlich hatte das bedauerliche Opfer überhaupt nichts mit
dem Verlagsprojekt zu tun gehabt. Hatte sich wahrscheinlich selbst zu Tode
gefressen und dann noch die außerordentliche Geschmacklosigkeit besessen, sich
ein
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