Pastetenlust
Lettenberg ging
nochmals zu der alten Frau zurück und gab ihr einen Kuss auf die Stirne. Dann
folgte er Palinski und Schwester Anita.
Zehn Minuten später, die beiden Männer saßen bereits längere
Zeit in Palinskis Leihwagen, begann sich der ausnehmend geduldige Lettenberg langsam zu wundern.
„Worauf warten wir noch”, wollte er von dem schweigsam vor
sich hinbrütenden Palinski wissen.
„Einen Augenblick noch, ich muss nachdenken.” Palinski holte
nochmals sein Notizbuch heraus und starrte zum wiederholten Mal auf die gleiche
Seite.
Ja, das konnte es sein. Falls sich sein Verdacht als richtig
herausstellte, würde das eine Menge offener Fragen beantworten.
„Ich werde Ihnen nachher alles erklären”, versprach er dem
alten Mann. „Aber jetzt müssen wir unbedingt noch einmal zur Oma. Unter allen
Umständen”, herrschte er Lettenberg fast an, der überhaupt nichts verstand,
aber bereitwillig mitmachte.
Schwester Anita erwies sich zunächst als etwas unwillig.
Lettenbergs bestimmtes Auftreten sowie Palinskis nicht unansehnliche Spende in
die Kaffeekasse brachten aber die gewünschte
Kooperation.
Frau Willinger schien sich
über den neuerlichen Besuch zu freuen, ja Palinski sogar zu erkennen, denn sie
begann sofort, den Donauwalzer zu intonieren. Dazwischen murmelte sie zwei Mal
leise, aber erstaunlich verständlich „Frau schlecht, sehr schlecht”, was
allerdings von keinem der Anwesenden bewusst wahrgenommen wurde.
„Hat Frau Willinger so etwas wie eine Metallschachtel, in der
sie Fotos, Briefe und ä hnliches
aufbewahrt?”, wollte Palinski jetzt wissen. „Sie verstehen, so eine Art Schrein
der Erinnerung, so was ist alten Menschen meistens sehr wichtig.”
Schwester Anita zuckte nur fragend mit den Achseln.
Lettenberg konnte sich aber erinnern, so etwas einmal gesehen zu haben. Mit
Zustimmung der beiden begann Palinski, rasch den Schrank und die Laden der
Kommode zu durchsuchen. In der untersten Lade des guten Stücks aus deutscher Eiche
fand er schließlich das Gesuchte. Fast feierlich nahm der die etwa Din-A-4 große, knapp zehn Zentimeter hohe blecherne ehemalige Keksdose heraus und stellte sie auf dem Tisch ab. Vorsichtig nahm er den Deckel ab,
legte ihn zur Seite und begann, den Inhalt zu prüfen.
Er wusste zwar nicht genau, was er suchte und fand auch
nichts, was danach aussah.
Lettenberg zuckte fragend mit den Achseln. „Wars das?”
Widerwillig nickte Palinski, das, was er zu finden gehofft hatte, existierte
halt doch nicht.
Die beiden anderen waren bereits auf den Gang getreten.
Palinski nutzte die Gelegenheit, sich ohne weitere Formalitäten eines der
vergilbten s chwarz-weiß-Fotos mit
der jungen Mutter samt Baby in die Tasche zu stecken. Es zeigte genau dasselbe
Motiv wie die gerahmte Aufnahme, die Josefa Willinger vorhin so aufgeregt
hatte.
Wieder im Auto konnte der sonst so geduldige Lettenberg seine
Neugierde nicht mehr zügeln.
„Erklären Sie mir bitte sofort, was das zu bedeuten hatte”,
forderte er Palinski für seine Verhältnisse ungewöhnlich energisch auf.
„Ich hatte einen Augenblick lang einen Verdacht”, gab
Palinski zu, „der sich aber nicht bestätigt hat.” Mehr wollte er nicht sagen,
obwohl seinem Gegenüber deutlich anzusehen war, dass ihm diese Erklärung
absolut nicht ausreichte. Er wollte dem alten Mann aber keine Hoffnung machen,
die sich später wahrscheinlich nicht erfüllen würde.
Während Palinski den Wagen startete, meldete sein Handy den
Eingang eines Anrufes. Es war Wallner, wie dem Display zu entnehmen war. „Ja”,
meldete er sich knapp, doch gut hörbar. „Wir haben den geheimnisvollen Fremden
gefunden”, der Inspektor kam immer gleich auf den Punkt, hielt sich nur selten
mit überflüssigen Floskeln auf.
„Und was sagt er?”, wollte Palinski wissen.
„Korrektur, wir haben ihn noch nicht. Wir wissen aber, wer er
ist und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn auch physisch vor uns haben
werden.” Wieder einmal ein Beweis dafür, dass der Inspektor ein Mann der Tat
war und nicht des Wortes, ging es Palinski durch den Kopf.
„Gut, Helmut, ich komme so rasch wie möglich nach Wien
zurück. Ich glaube, wir kommen der Antwort langsam näher.”
Dann informierte Palinski Lettenberg über die jüngste
Entwicklung. Anschließend meinte er bedauernd: „Ich habe zwar versprochen, mit
Ihnen Ihre Frau aufzusuchen. Angesichts der aktuellen Entwicklung bitte ich
aber um
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