Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pastworld

Pastworld

Titel: Pastworld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Beck
Vom Netzwerk:
Schritts durch den dunklen gemauerten Tunnel. Das trübe Licht machte ihm nichts aus, er konnte auch im Dunkeln hervorragend sehen. Und seine Füße fanden automatisch ihren Weg an den Eisenbahngleisen entlang. Eine Ratte sauste an ihm vorbei, keine echte, wie er erwartet hätte, sondern eine verirrte mechanische. Sie blieb vor ihm stehen und versperrte ihm den Weg. Mit ihren künstlichen, rot glühenden Augen sah sie zu ihm auf, hob den Kopf, öffnete den Mund, zeigte zwei Reihen gleichmäßiger, spitzer Zähne und ein festgefrorenes Grinsen. Dann sagte sie drohend: »Kein Durchgang. Sperrgebiet. Gesperrt.« Das Phantom blickte auf die Ratte hinunter, auf ihr raues, fettiges Fell mit den gesträubten Haaren. »Hallo, Bruder Ratte«, sagte er mit einem Hauch Mitgefühl in der Stimme. Er hob den Fuß in dem glänzenden schwarzen Stiefel und trat fest auf den Rücken des kleinen Wesens. Durch die Stiefelsohle hindurch fühlte er das zerstörerische Knirschen in allen Einzelheiten. Er zog den Fuß zurück, kniete sich hin und betrachtete die Ratte aus der Nähe. Neugierig blickte er in die zerbrochenen kleinen Augen, während das rote Licht immer schwächer wurde und schließlich erlosch. Das könnte sie alarmieren, dachte er. Aber wir sind zu tief unten, zu tief unter der Erde, um ein Alarmsignal auszulösen.
    Der Umhang des Phantoms schwang hinter ihm her, als er die letzte Biegung nahm. An dieser Stelle führte der Tunnel die letzten hundert Meter geradeaus und bald kam der alte, ausgediente Bahnhof in Sicht. Über dem Bahnsteig hingen an Drähten Öllampen. In ihrem diffusen Licht sah man Reste alter Reklameplakate an den gewölbten Wänden kleben: Lächelnde Gesichter grinsten auf die stillgelegten Bahngleise hinunter. Sie zeigten ihre einstmals strahlend weißen Zähne, präsentierten stolz ihre Zahnpastatuben oder ihre in Wellen und Locken gelegte glänzende Haarpracht.
    An der Ecke des Bahnsteigs hielt ein zerlumpter Mann mit einem Gewehr über den Knien Wache. Er sprang auf, als das Phantom aus dem Tunnel auftauchte.
    »Schlafen Sie schon wieder, Mr James?«, fragte das Phantom.
    »Nein, Sir«, erwiderte der zerlumpte Mann und stand so stramm, wie er nur konnte. »Sind die anderen bei Ihnen?«
    »Nein. Sie machen sich irgendwo da draußen über die Leute her. Sie werden noch schnell genug hier sein.« Das Phantom sprang auf den Bahnsteig und ging rasch Richtung Treppenhaus. Über den Rolltreppen hingen weitere Öllampen. Die Metallstufen waren verrostet und dick mit Staub bedeckt. Hinter sich nahm das Phantom ein Geräusch wahr: das hallende Gelächter und Geschrei seiner Bande zerlumpter Männer, die durch einen der Tunnel näher kamen.
    Das Phantom öffnete eine Tür und betrat die alte Schalterhalle. Durch die Vielzahl der Öllampen war es hier viel heller. Eine Gruppe bewaffneter Männer hockte auf einer Chaiselongue an der Wand, während Lucius Brown aufrecht, mit einem Strick an einen harten Stuhl gefesselt, mitten im Raum saß. Auf dem Boden vor seinen Füßen stand ein Tablett mit Essen und Besteck.
    Lucius sah dem Phantom entgegen, wie er auf ihn zukam und direkt unter dem Lichtkreis stehen blieb. Das Phantom nahm seinen Hut ab und warf ihn einem der zerlumpten Männer zu, der ihn ungeschickt auffing. Dann zog er sich die Maske vom Gesicht und nahm die silberne Brille ab. Er war blass, hatte glatte Haut und leuchtend meerblaue Augen.
    »Ich habe gehört, dass eins meiner Teams heute Abend Zeuge deiner Handwerkskünste wurde«, sagte das Phantom.
    Lucius richtete sich merklich auf seinem Stuhl auf und zerrte an den Stricken.
    »Entspann dich, Lucius, es war nicht das, was du denkst. Es war nur einer deiner Geisterautomaten, die gespenstische Projektion eines kleinen Mädchens, ein billiger Mechanismus. Eine der Illusionen, die du erfunden hast, wie mir gesagt wurde. All die reichen Gaffer und Trottel, die auf so etwas hereinfallen, bezahlen gutes Geld dafür.«
    »Du bist bestimmt sehr stolz auf dich«, erwiderte Lucius in gemessenem Tonfall.
    »Dabei musst du doch derjenige sein, der stolz auf sich ist«, sagte das Phantom. »Man stelle sich vor, so etwas zu erfinden und zuzusehen, wie es funktioniert. Es hat etwas von Magie, aber du bist ja auch so etwas wie ein Magier, nicht wahr? Auf jeden Fall hat es ihnen gehörig imponiert, bis meine Männer auftauchten und ihren Kreis durcheinanderbrachten.« Das Phantom lächelte, was selten genug vorkam. Wenn er lächelte, sah er ziemlich gut aus, bis auf

Weitere Kostenlose Bücher