Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
eine verdächtig fette Zigarette teilten. Er selbst hatte sein Leben lang nie geraucht – schon gar nicht Marihuana – und überlegte nun ernsthaft, den beiden einen Joint abzukaufen, um seine Nerven zu beruhigen.
»Sie kommt nicht!«, stellte Joana fest und schwankte zwischen Fluchen und Heulen.
Kilian blickte auf die Uhr, obwohl noch keine zwei Minuten vergangen waren, seitdem er das letzte Mal auf das Ziffernblatt gestarrt hatte. 22.16 Uhr. »Sie wird kommen, in Spanien kommt doch fast jeder zu spät, das weißt du doch selbst am besten.«
Joana setzte sich auf eine Bank und erhob sich im selben Moment wieder, um den Turm ein weiteres Mal zu umkreisen. Gerade als sie von dieser Runde zurückkam, bog ein weißer Lieferwagen von der Hauptstraße auf den Parkplatz. Am Steuer saß ein Mann. Er blickte zu ihnen hinüber, ohne auszusteigen. Dann griff er nach seinem Handy und telefonierte.
Kilian seufzte. Wieder nichts …
Er ließ sich auf die Bank fallen und Joana sank neben ihn. Sie verknotete die Hände unter ihren Oberschenkeln und Kilian tätschelte ihren Rücken, als der Mann aus seinem Kastenwagen stieg und auf sie zukam. Er war Mitte zwanzig, trug eine Baseballkappe und einen Dreitagebart. Irgendwie ähnelt er einem Fußballspieler des FC Bayern, dachte Kilian, als der Mann vor ihnen stehen blieb.
»Joana?«, fragte der Spanier.
Joana fuhr hoch. »Ja?«
»Ich soll dich zu Carmen bringen.«
Ohne weitere Erklärungen ging der Mann zurück zum Lieferwagen.
Joanas Knie waren offenbar so weich, dass Kilian sie stützen musste.
»Warte!«, schrie sie. »Wieso ist meine Schwester nicht gekommen? Wo ist sie? Und wer bist du?«
Der Mann wartete neben dem Kastenwagen. »Kommst du auch mit?«, fragte er Kilian. Kilian wollte etwas erwidern, aber Joana nickte nur.
»Dann müsst ihr hinten rein. Vorne ist kein Platz für zwei.«
Joana krallte sich den Oberarm des Burschen. »Moment mal. Ich hab dich gefragt, wieso Carmen nicht hier ist und wer du bist.«
Der junge Mann rollte mit den Augen und öffnete die Tür zur Ladefläche. »Carmen und ihr Freund Pepe haben zu Hause eine Überraschung für dich vorbereitet und ich bin Pepes Kumpel und soll dich abholen, weil er keinen Führerschein hat. Es ist nicht weit. Na los, kommt schon!« Zögerlich stiegen sie ein, dann wurde die Tür zum Laderaum zugeschlagen.
Die Fahrt dauerte dann doch länger, als das Fußballerdouble, der von Beruf Installateur zu sein schien, versprochen hatte. An einer Seitenwand des Kastenwagens befanden sich Halterungen, an denen Kupferrohre festgezurrt waren. Dazu Regale mit Muffen, Dichtungsmaterial und Lötdrähten. Joana saß auf einer Rolle Dämmstoff und Kilian auf einer Werkzeugkiste. Sie sprachen kaum miteinander. Joana hing ihren Gedanken nach und er den seinen. Kilian versuchte, sich in Joana hineinzudenken.
Vor etwas mehr als vierundzwanzig Stunden, vor dieser ominösen SMS, dachte sie noch, ihre Schwester wäre längst tot und jetzt war sie auf dem Weg zu ihr und konnte es kaum erwarten, dass die Fahrt endete. Er selbst dachte anders, nämlich dass der viel strapazierte Ausdruck »Das kommt mir Spanisch vor« zu keiner Situation besser passen könnte als zu dieser hier.
Kilian sah zu Joana hinüber und betete zu Gott, dass ihn seine Intuition nur betrog. Aber auf Gott allein wollte er sich nicht mehr verlassen, diese Zeiten waren längst vorbei.
Nachdem sie eine dreiviertel Stunde unterwegs waren, wurde die Straße holpriger. Es schien, als fuhren sie über einen Schotterweg oder eine schlecht asphaltierte Nebenstraße. Weitere fünf Minuten später war die Fahrt vorbei. Der Motor wurde abgestellt und ihr Fahrer öffnete die Hintertür. Draußen herrschte Finsternis. Joana sprang heraus, Kilian folgte ihr. Unter seinen Sohlen war der Untergrund weich. Waldboden. Keine Carmen. »Wo ist meine Schwester?«, herrschte Joana den jungen Mann an.
»Im Haus.« Ihr Fahrer ging um den Lieferwagen herum, dessen Scheinwerfer eine alte Finca beleuchteten. Joana rannte auf das Haus zu und rief nach ihrer Schwester.
»Schhht!«, bedeutete ihr Fahrer und legte den Zeigefinger an den Mund. »Denk an die Überraschung!« Er wies auf eine Tür bei einem Anbau des Hauses und öffnete diese. »Und die Überraschung ist da drinnen!«, fügte er hinzu und ließ Joana und Kilian vortreten. Aber der Mann selbst blieb draußen, zog die Tür zu und drehte den Schlüssel zwei Mal um. Als Kilian das Geräusch hörte, stemmte er sich sofort gegen
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