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Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)

Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pata Negra: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduard Freundlinger
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bis sie Carmen in die Arme schließen konnte.
    Schon seit Stunden führte sie in Gedanken Gespräche mit ihr. Dabei hatte sie allerdings beschlossen, ihrer kleinen Schwester keine Vorwürfe zu machen. Wichtig war nur, dass Carmen am Leben war und dass es ihr gut ging.
    Unzählige Fragen schwirrten durch Joanas Kopf: Wusste Carmen, dass ihre Mutter gestorben war? Hatte sie die letzten beiden Jahre ständig in Sevilla gelebt? Hatte sie dort einen Freund oder steckte sie etwa in einer Sekte? Und woher kannte sie die Handynummer?
    Wieder sah Joana auf die Uhr. Die beiden drängendsten Fragen aber würde sie vorerst nicht stellen: Warum bist du weggelaufen und wieso hast du dich nicht früher gemeldet?
    Carmen würde schon von sich aus erzählen, warum sie damals einfach abgehauen war …
    Joana wendete ihr von Schweiß und Tränen durchnässtes Kopfkissen. Oben hörte sie Kilians Bett knarren. Konnte er auch nicht schlafen?
    Es war wirklich rührend, wie Kilian sich für sie freute und sich überdem bereit erklärt hatte, sie nach Sevilla zu begleiten. Außer ihm hatte sie keinem von der SMS erzählt, so wie ihre Schwester es wollte: »Sprich mit niemandem darüber.« Nur ihrem Chef hatte sie durch Belen telefonisch ausrichten lassen, dass sie drei Tage Urlaub benötigte, um in Sevilla etwas Dringendes zu erledigen. Es war klar, dass Carlos tobte, aber selbst er würde ihre Notlüge verstehen, wenn er dann schließlich erführe, dass Carmen doch noch lebte.
    Wieder knarzte es oben. Joana war froh, dass Kilian ihr beistand, und das nicht nur, weil sie in ihrem Freudenrausch niemals würde Auto fahren können.
    Sie wälzte sich herum und schließlich beruhigte sie sich und dämmerte in einen Halbschlaf hinab. Immer wieder aber – aufgewühlt von ihren Gedanken – glitt sie an die Oberfläche zurück, doch nur, um erneut in die Tiefe zu tauchen. Dieser ermüdende Wechsel ging solange fort, bis sich endlich ihre Grübeleien um Carmen in einen Traum wandelten – in einen Albtraum.
    Kilian sah auf die Uhr. Joana lief gerade wohl schon zum zwanzigsten Mal um diesen Turm und es dauerte noch eine volle Stunde bis zu dem Treffen, aber er konnte ihre Ungeduld verstehen. Andere Dinge hingegen konnte er weniger verstehen: Wieso meldete sich ihre Schwester – nach zwei Jahren ohne Lebenszeichen! – gerade jetzt? Jetzt, wo drei Menschen in dem Hotel gestorben waren, dem Ort, an dem man auch sie zuletzt lebend gesehen hatte? Gab es da einen Zusammenhang? Und woher hatte Carmen Joanas Nummer und warum rief sie nicht einfach an, anstatt mit verdeckter Nummer eine SMS zu senden? Und wenn Carmen seither tatsächlich in der größten Stadt Andalusiens lebte, wieso hatte man sie dort nicht ausfindig machen können – bei dem Aufwand, der seitens der Behörden damals angeblich betrieben worden war?
    Diese Fragen hatten auch ihn in der vergangenen Nacht nicht ruhen lassen. Um neun Uhr morgens waren sie nach Sevilla aufgebrochen, obwohl die Fahrt nur drei Stunden dauerte.
    Kilian betrachtete den Turm, den Carmen sich als Treffpunkt ausgesucht hatte. Es schien ein mittelalterlicher Wachturm der Stadt zu sein – etwa vierzig Meter hoch und fünfzehn Meter im Durchmesser. Die Plattform des Turms war mit Zinnen bestückt. Aus der Plattform ragte eine Miniaturversion des Hauptturms heraus, dessen Spitze aus einer goldenen Kuppel bestand. Deswegen also Torre del Oro, der »Goldene Turm«, wie Joana ihm erklärt hatte. Tagsüber schien der Turm eine Touristenattraktion zu sein, aber jetzt lag der Platz um das Gebäude bis auf eine Reihe parkender Autos vollkommen verlassen da. Nur zwei abgezehrte Typen standen bei einem silbernen Hyundai mit Heckspoiler und schienen sich eher für ihre Drogendeals zu interessieren als für die Sehenswürdigkeit. Von Carmen keine Spur – aber es blieben ja noch 37 Minuten Zeit bis zum Treffen. Kilian hoffte inständig, dass Carmen auch tatsächlich um zehn Uhr bei diesem Turm aufkreuzte, und es sich hier nicht nur um einen makabren Scherz handelte. Das wäre fatal für Joana …
    Kilian begann die Zinnen zu zählen, um sich abzulenken.
    »Wie spät ist es jetzt?«, fragte Joana, obwohl sie selbst auch eine Armbanduhr trug.
    »22.07 Uhr. Sie wird gleich kommen.«
    Joana verglich die Zeit mit ihrer Uhr und machte sich erneut auf zu einer Tour um den Turm.
    Kilian fragte sich, ob er jemals zuvor in seinem Leben so angespannt gewesen war, und bezweifelte es. Er sah zu den beiden hohlwangigen Jungs hinüber, die sich

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