Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
gab er an, zugekifft in seinem Zimmer gewesen zu sein. Alleine. So viel zu seinen Alibis. Aber solange wir nicht den geringsten Beweis gegen ihn haben, können wir gar nichts machen. Es führt keine Spur zu ihm oder zu sonst jemandem! Ich sollte dir das vielleicht nicht sagen, Joana, weil es die laufenden Ermittlungen betrifft, aber die Obduktion an Elena ist abgeschlossen und – was für ein Wunder! – sie ist durch den Sturz über den felsigen Abhang zu Tode gekommen. Mehr wissen wir nicht. Keine Fasern von fremder Kleidung, keine Kampfspuren unter den Nägeln, nichts! Bei Elena gibt es also immer noch drei Möglichkeiten: Entweder sie stürzte sich absichtlich zu Tode oder sie fiel aus Versehen oder jemand stieß sie dort hinunter. Wenn du mich fragst, so glaube ich allerdings an letztere Version. Aber wie gesagt, es gibt derzeit kein einziges Indiz, das darauf hinweist. Es ist zum Kotzen Joana, das kannst du mir glauben!« Paco zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, ehe er sie aus dem Fenster warf. »Wir haben drei Tote in zwei Wochen und langsam fange ich an, an Außerirdische zu glauben.« Joana erhob sich. Ihr Optimismus, dass die Verbrechen bald aufgeklärt würden, war verflogen. Sie verstand das Dilemma der Guardia Civil wegen den fehlenden Spuren in allen drei Fällen, trotzdem war sie maßlos enttäuscht.
»Noch was, Joana! Der Leichnam von Xaver Huber wurde heute Morgen vom Richter freigegeben und er …«, Paco deutete auf Kilian, »kann seinen Pass im Gericht abholen und jederzeit das Land verlassen, wenn er das möchte.« Paco zögerte, ehe er hinzufügte: »Und sag ihm, es tut uns leid, dass wir ihn zu Unrecht verdächtigt haben. Wir wissen zwar noch nicht, was mit seinem Bruder geschehen ist, aber«, Paco sah erst Kilian und dann ihr fest in die Augen, »wir werden es herausfinden, genauso wie wir herausfinden werden, warum deine Mutter sterben musste, das verspreche ich euch!«
»Ich werd’s ihm ausrichten!«, sagte sie und zog Kilian aus dem Büro.
Joana warf die Autotür zu, dass der Wagen wackelte. »Verdammte Scheiße! Und ich dachte, die Guardia Civil käme nun weiter!«, fluchte sie und hieb mit der Faust auf das Handschuhfach.
Kilian wusste schon, dass Worte jetzt fehl am Platz waren und wartete, bis sie sich beruhigte. Er startete den Motor und legte den Rückwärtsgang ein. In Joanas Handtasche piepste es. Sie zog ihr Handy heraus und öffnete eine SMS. Kilian beobachtete, wie sie die Nachricht las und einen Augenblick später ging alles ganz schnell: zuerst noch verblüfft, wich einen Moment später jegliche Farbe aus Joanas Gesicht. Ihre Miene wurde vollkommen starr. Dann fiel ihr Handy zu Boden und ihr Körper begann zu beben wie bei einem Schüttelfrost. Schließlich folgte ein lang gezogener Aufschrei: »Caaarrmeen!«
35
E s dauerte ganze fünf Minuten, in denen Joana an seinem Hals hing und heulte und dabei kein einziges verständliches Wort herausbrachte.
Sie parkten immer noch auf dem Vorplatz der Guardia Civil. Ein Uniformierter klopfte an das Seitenfenster und fragte, ob alles in Ordnung sei. Kilian nickte, obwohl gar nichts in Ordnung war. Erst als Joana sich von ihm löste, sah er, dass es Freudentränen waren, die nun seinen Hemdkragen durchtränkten. Joana bückte sich zu ihrem Handy im Fußraum und las die Nachricht ein weiteres Mal, ehe sie sich an Kilian wandte. »Meine kleine Schwester lebt!«
Nun war er es, dem es die Sprache verschlug. Joana reichte ihm ihr Handy und Kilian las die Nachricht auf dem Display: Ven mañana a las 22:00 a Sevilla. Esperaré frente a la torre del oro y te explicaré todo. No hables con nadie. Tu hermana Carmen. Er verstand nur Morgen, Sevilla und Carmen. Joana war so aufgelöst, dass es ihr Mühe bereitete, die Nachricht ins Deutsche zu übersetzen. »Da steht: ›Komm morgen um 22.00 Uhr nach Sevilla. Ich werde beim Torre del Oro warten und dir alles erklären. Sprich mit niemandem darüber. Deine Schwester Carmen.‹«
Kilian konnte es nicht fassen. Er freute sich so sehr für Joana, als ob es sein eigener Bruder wäre, der sich eben von den Toten zurückgemeldet hätte. Er umarmte Joana und zusammen heulten sie, bis der nächste Polizist gegen die Scheibe klopfte, um zu fragen, ob denn tatsächlich alles in Ordnung sei.
Die Zeiger ihrer Uhr schienen wie in Zeitlupe dahinzukriechen. Es war halb fünf Uhr nachts und Joana versuchte endlich einzuschlafen, aber es war aussichtslos. Noch siebzehn Stunden und dreißig Minuten,
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