Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
herausfinden, dachte sie, und mit einem Mal war es ihr egal, wie er darauf reagierte. Hauptsache, es war vorbei und sie musste nicht mehr allein mit diesem Geheimnis weiterleben.
Es klopfte kräftig gegen die Tür. In der Stille klang es wie ein Pistolenschuss.
Kilian erschrak so heftig, dass er einige der folgenschweren Seiten zu Boden wischte. Hektisch versuchte er, die verbliebenen Blätter mit den Händen zu verdecken und die auf dem Boden liegenden mit den Füßen unter den Schreibtisch zu schieben. Als Joana ihm eine Hand auf die Schulter legte, ließ er von diesem sinnlosen Vorhaben ab. Schwankend erhob er sich. Sie standen sich schweigend gegenüber. Zwischen ihnen die Briefseiten … sie konnten nicht aufeinander zugehen, ohne auf das Papier zu treten.
»Wieso hast du nichts gesagt?«, brach Kilian das Schweigen.
»Ich konnte es nicht. Und du hast ja gelesen, warum.«
»Aber …« Kilian wusste nicht, was er ihr vorwerfen sollte. Wäre Joana nicht überraschend nach Hause gekommen, hätte er den Brief wohl wieder an seinen Platz gelegt und so getan, als ob nichts gewesen wäre, obwohl das leichter gesagt war als getan. Er liebte Joana und er wollte trotz allem nicht, dass eine Woche vor Weihnachten und drei Monate vor der Geburt ihres Sohnes diese alten Geister wieder zwischen sie traten. Sein Bruder würde in seinem Sohn weiterleben und er wollte die Vergangenheit ruhen lassen.
»Aber … warum Elena ?«, fragte er sie schließlich und Joana sah ihn erstaunt an.
»Ich habe Antonio«, sie stockte und Empörung machte sich in ihrem Gesicht breit, »aber doch nicht Elena! « Joana schüttelte heftig den Kopf. »Weißt du das denn nicht mehr? Wir standen doch zusammen auf dem Balkon, als dieser Schrei …« Sie verstummte und Kilian spürte, wie ihm die Röte in die Wangen stieg. Wie hatte er das nur vergessen können? Offenbar war er doch schon ein wenig mehr durch den Wind als er glauben mochte, und der Whiskey hatte auch nicht gerade dazu beigetragen, seine Urteilskraft zu schärfen. Kilian hob den Kopf und sah ihr in die Augen. Er glaubte ihr und der letzte Teil des Puzzles legte sich wie von selbst auf seinen Platz.
»Antonio hat also Elena den Abhang hinuntergestoßen?«
Joana nickte. »Ja. Er hat es uns gegenüber zugegeben.«
» Uns ?«
»Mir und Maite gegenüber. Ich habe zusammen mit Maite …«
»Maite wusste Bescheid?«, unterbrach er sie.
Joana nickte. »Antonio hat Carmen überfahren und Elena saß bei ihm im Auto. Sie war seine einzige Zeugin. Anfangs hielt sie dicht, weil sie in ihn verliebt war. Ihn aber interessierten nur andere Frauen und da begann sie, ihm zu drohen. Sie rief bei meiner Mutter an und ihr hat sie alles erzählt, weil meine Mutter ihr wegen dem Krebs leidtat. Dann hat sie bei mir angerufen, aber die meiste Zeit nur gestammelt und geheult und dann aufgelegt. «
»Moment mal! Hattest du damals von dem Krebs gewusst? Ich meine, bevor du diesen Brief gelesen hast?«
Joana starrte zu Boden. »Ich habe es gewusst. Bei der Obduktion ist das natürlich herausgekommen und Paco von der Guardia Civil hat es mir erzählt – als ob es mich hätte trösten können, dass meine Mutter ohnehin nicht mehr lange zu leben hatte.«
»Aber warum hast du mir nie …«, begann Kilian, aber Joana winkte ab.
»Wir hatten damals noch kein … Verhältnis , Kilian. Ich habe dir in Almuñécar vieles anvertraut, aber nicht alles. Die Krankheit meiner Mutter habe ich für mich behalten, denn darüber nach ihrem Tod zu sprechen war mir … Ach egal, ich wollte es einfach nicht. Ich habe es niemandem erzählt, auch nicht Maite.«
Kilian schluckte und fragte sich, was Joana noch für Geheimnisse vor ihm hatte. »Verstehe, aber warum gab Antonio den Unfall mit Carmen dann schließlich zu und was hat Maite mit der Sache zu tun?«
Joana zögerte, dann bückte sie sich, hob die verstreuten Blätter vom Boden auf und legte sie zu den anderen auf den Schreibtisch.
»Es war alles meine Schuld«, begann sie, »ich hätte Maite niemals davon erzählen dürfen, aber an jenem Abend ist einfach alles zusammengekommen. Ich hatte mich von dir am Nachmittag verabschiedet und ich dachte, ich sehe dich nie wieder. Und dann war da noch der Verdacht, den ich wegen des Ohranhängers gegen Antonio hegte …« Joana nahm das Kuvert in die Hand. »Aber schließlich habe ich das hier gefunden! Und da stand die ganze Wahrheit drin. Danach – wie soll ich sagen? – erdrückten mich meine Trauer und meine Wut
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