Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
sich jedoch anscheinend überzeugen, dass sie zur weiteren Untersuchung besser in einer Klinik aufgehoben wäre.
Die zwei Sanitäter bugsierten Inmaculada anschließend auf der Trage durch das engwinkelige Treppenhaus, was gar nicht so einfach war. Kilian versuchte zu helfen, stand dabei aber nur im Weg und wurde von einem der Sanitäter verscheucht. Unten angelangt, schoben sie Inmaculada mitsamt der Trage in die Ambulanz, die mit rotierendem Blaulicht neben der Eisenwarenhandlung parkte. Joana stieg wortlos hinterher. Sie sprach kein Wort und würdigte ihn keines Blickes, bis die beiden Türen vom Notarzt geschlossen wurden. Kilian sah dem Rettungswagen nach und fühlte sich so elend und einsam wie selten zuvor.
12
G egen fünf Uhr nachmittags wurde Inmaculada wieder aus der Klinik entlassen. Sie hatte dem behandelnden Arzt versichert, dass es ihr wieder gut ging, was zwar mehr als gelogen war, aber sie hatte für Stunden an einem Tropf hängen müssen und das sollte reichen.
Außerdem waren es quälende Stunden gewesen. Stunden, in denen die Tropfen, die in ihren Unterarm sickerten, allem Anschein nach als Erstes ihre verdorrten Tränendrüsen bedienten, um von dort wieder aus den Augenwinkeln in das pitschnasse Kopfkissen zu rollen. Der Arzt wollte sie nach einem Blick in ihre Krankenakte in das Regionalkrankenhaus nach Motril verlegen. Er führte ein Gespräch mit Doktor Sanchez, ihrem dortigen behandelnden Arzt, aber nach kurzer und sturer Diskussion konnte Inmaculada die Klinik in Almuñécar wieder verlassen, und wurde von einer Ambulanz, diesmal ohne Martinshorn, nach Hause gebracht. Dort angekommen, rief sie bei Joana im Hotel an und beruhigte sie. Joana wollte nach dem Dienst um zehn vorbeikommen, aber Inmacualada lehnte ab: Sie wolle heute Abend früh zu Bett gehen, dann legte sie auf und starrte gedankenverloren aus dem Wohnzimmerfenster. Joana, dachte sie, ich kann dich nicht auch noch in die Sache hineinziehen.
Nein, sie musste ihr Wissen vorerst für sich behalten, vor allem jetzt, da sie erfahren hatte, weshalb der junge Deutsche gestorben war.
Kilian verkroch sich den restlichen Tag über in seinem Zimmer. Lustlos zappte er durch die schwachsinnigen deutschen Nachmittagsprogramme, bis er auf Eurosport an einem Tennismatch hängenblieb, aber auch das konnte ihn nicht ablenken.
Warum nur hatte er Inmaculada und Joana mit seinen persönlichen Angelegenheiten belästigen müssen? Das war doch Aufgabe des deutschen Konsulats! Und nicht die einer Hotelangestellten und ihrer Mutter. Warum also …? Purer Eigennutz, dachte er missmutig und warf einen Blick auf die Uhr. Eigentlich hätte er heute beim Konsulat anrufen sollen, aber dazu fehlte ihm jeglicher Antrieb. Xaver … der Zwischenfall mit Inmaculada … Die Dinge waren geschehen und er konnte sie nicht mehr rückgängig machen. Er beschloss, das Hotel am nächsten Tag zu verlassen und sich eine Unterkunft in Málaga zu suchen, um dort abzuwarten, bis der Leichnam seines Bruders freigegeben wurde. Alles Weitere müssten dann die vom Konsulat klären.
Gegen Abend bekam er Hunger, wollte aber sein Zimmer nicht verlassen, um ins Restaurant oder die Cafeteria zu gehen. Er wollte niemandem begegnen, am allerwenigsten Joana. Also stopfte er aus Frust alle Kartoffelchips, Nüsse und Schokoriegel in sich hinein, die er im Fach neben dem Kühlschrank finden konnte. All das Zeug, das er normalerweise mied. Danach fühlte er sich noch jämmerlicher. Er redete sich ein, dass dieses Gefühl in seiner Situation nicht außergewöhnlich wäre, wäre da nicht der Umstand, dass er diese Trübseligkeit nun schon seit Jahren mit sich herumschleppte, seit … er verdrängte die düsteren Gedanken an seine Vergangenheit, ging ins Bad, schluckte eine Tablette und trank einen Schluck Leitungswasser. Hatte sich sein Bruder in letzter Zeit auch so gefühlt?, fragte er sich, während er die Ringe unter seinen Augen im Spiegel betrachtete. Er, der lebenslustige Xaver? War sein Bruder ihm doch ähnlicher gewesen, als er annahm?
Der Gedanke verfolgte ihn.
Um besser denken zu können, schaltete er den Fernseher aus und ersparte sich so die glückliche Familie mit Hund, die für einen Family -Van Werbung machte. Dann streckte er sich auf seinem Bett aus und schloss die Augen. Xaver wurde ermordet … oder hatte er sich selbst das Leben genommen? Nein, sein Bruder wurde ermordet. Und er wusste es jetzt, denn er selbst hatte ihn getötet! Und dafür kam er ins Gefängnis.
Weitere Kostenlose Bücher