Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)

Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pata Negra: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduard Freundlinger
Vom Netzwerk:
konnte man in Spanien wohl durchaus noch als pünktlich bezeichnen. Zum ersten Mal sah er sie ohne ihren marineblauen Hosenanzug mit messingfarbenem Namensschild, sondern zwanglos in abgewetzter Jeans, Stiefeln und einem simplen weißen Top. Ihre Korkenzieherlocken trug sie offen und nicht wie gestern zu einem formellen Knoten gebunden.
    Kilian stieg aus und küsste sie, wie es hier in Spanien Brauch war, auf die Wangen. Joana hatte sich dezent geschminkt, ihr Parfum war ein sinnliches Bouquet aus Brombeeren, tropisch schwülen Hölzern und Magnolienblüten. Er war regelrecht gebannt. Für den Moment berauscht, vergaß er fast völlig, warum er sich an diesem Morgen mit Joana verabredet hatte.
    Während sie sich auf den Weg machten und nebeneinander zur Wohnung ihrer Mutter schlenderten, konnte sich Kilian des Eindrucks nicht erwehren, dass wohl manche der Passanten sie für ein Paar halten mochten. Ganz ähnlich wie Joana trug auch er Jeans und dazu ein weißes Shirt.
    »Hier ist es«, sagte Joana und riss ihn aus seiner Träumerei.
    Kilian wandte sich um. Sie standen vor einem mehrstöckigen Gebäude. Die Ladenfront im Erdgeschoss setzte sich aus einer Apotheke, einer Eisenwarenhandlung, einem Videoklub und einen Sportartikelladen zusammen. Auf der anderen Seite der Straße lag der Busbahnhof von Almuñécar. Joana kramte einen Schlüssel hervor und öffnete die Eingangstür zum Portal III des »Edificios Huerta del Barco«, wie Kilian auf einer kleinen Hinweistafel las. Was auch immer das bedeuten mochte.
    Sie fuhren mit dem Aufzug nach oben. Inmaculada wohnte im dritten Stock. Die restlichen Wohnungen, so Joana, waren überwiegend an Rechtsanwälte, Ärzte und Notare vermietet. Früher habe sie selbst hier gewohnt, erzählte sie, aber sie war – ganz im Gegensatz zur Mehrheit der spanischen Jugend, die gewöhnlich bis zur Heirat im Elternhaus blieb – schon vor vier Jahren ausgezogen. Seitdem lebte sie alleine in einem der verschachtelten Häuser in der Altstadt, dem ehemaligen Wohnhaus ihrer verstorbenen Großeltern.
    Sie betraten einen Gang und Joana klingelte an einer Wohnungstür. Jemand rief von drinnen irgendetwas auf Spanisch und Joana schloss die Tür auf.
    Die Wohnung war altmodisch eingerichtet und roch im ersten Moment medizinisch wie ein Krankenhausflur, machte aber ansonsten einen gemütlichen Eindruck.
    Joana führte ihn durch einen schmalen Gang in das Wohnzimmer. Die Jalousien waren bis auf eine Handbreit zum Fensterbrett heruntergelassen. Kilian brauchte eine Weile, bis sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnten. Das Wohnzimmer wurde von einem kirschhölzernen Wandschrank beherrscht, der hier wohl schon lange bevor die Welt das Wort »Ikea« zum ersten Mal vernommen hatte, Einzug gehalten hatte. Der mächtige Schrank enthielt Bücher, einen Fernseher, eine Gläservitrine und einige gerahmte Fotos der Familie. Ganz offenbar aus glücklicheren Tagen, als Joanas Vater noch lebte und ihre Schwester noch nicht verschwunden war.
    Kilian beugte sich zu einem in Silber gerahmten Foto hinab. Es zeigte ein junges Mädchen in weißbauschigem Kleid vor pastellfarbenem Hintergrund. Die Ähnlichkeit zu Joana war groß und Kilian war sicher, dass es sich bei dem Mädchen nur um Carmen handeln konnte. Genau wie Joana hatte Carmen schwarz geringeltes Haar, nur waren auf dem Foto cremefarbige Schleifchen darin eingeflochten. Carmen saß auf einem Hocker, stützte den Kopf auf die behandschuhte Hand und lächelte kindlich unverfälscht in die Kamera. Wahrscheinlich eine Aufnahme anlässlich ihrer Erstkommunion, dachte Kilian betrübt. Er versuchte sich auszumalen, welche Schmerzen es für Joanas Mutter bedeutet haben musste, als ihre Tochter spurlos verschwand. Es war gar nicht auszudenken.
    Auch auf dem Tisch, der mit einem weißen Sticktuch bedeckt war und an einen Altar erinnerte, standen Familienfotos, darunter eines von Joana, zusammen mit ihrer Schwester. Beide umarmten eine dritte Frau in ihrer Mitte, die ein Hochzeitskleid trug.
    Joana trat neben ihn.
    »Das ist das letzte Foto von meiner Schwester. Es wurde auf der Hochzeit unserer Cousine Paula aufgenommen. Auf dem Nachhauseweg …« Joana verstummte, als ihre Mutter das Wohnzimmer betrat. Inmaculada war offenbar in der Küche beschäftigt gewesen und trocknete sich mit einem Tuch die Hände ab.
    »Hola Mamá.« Joana umarmte Inmaculada lange, dann stellte sie ihn ihrer Mutter vor.
    Kilian konnte keine große Ähnlichkeit zu Joana feststellen. Bei

Weitere Kostenlose Bücher