Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
ab, wich aber nach einem kurzen Wortwechsel mit Joana der Erleichterung. Inmaculada atmete auf. Kilian rätselte, was der Widerstreit der Gefühle wohl zu bedeuten hatte, aber Joana ging nicht näher darauf ein: »Dein Bruder hat sie nur nach dem Weg gefragt«, wandte sie sich schließlich an ihn. »Mehr war da nicht, tut mir leid.«
Kilian nickte. Enttäuschung machte sich in ihm breit, aber andererseits, was hätte er auch mehr erwarten dürfen? »Bitte frag sie noch, ob ihr irgendetwas an meinem Bruder aufgefallen ist«, sagte er zu Joana.
Joana gab die Frage weiter und Inmaculada schüttelte mit dem Kopf.
Kilian nickte erneut, trank einen Schluck Kaffee und überlegte, ob es sonst noch etwas gab, das er Inmaculada fragen konnte. Aber ihm fiel nichts ein.
»Muchas gracias.« Er bemühte ein Lächeln und trank seinen Kaffee aus.
Joana half ihrer Mutter die Tassen abzuräumen und er konnte zwischen Porzellanklappern hören, wie sie sich in der Küche unterhielten. Einzelne Wörter konnte er bereits verstehen: habitación en la tercera planta , also Hotelzimmer im 3. Stock, guardia civil , Antonio , cafetería und sogar bocadillo de jamón konnte er als Schinkenbrot identifizieren. Offensichtlich erzählte Joana ihrer Mutter gerade, was die Untersuchungen zum mysteriösen Tod seines Bruders bis jetzt ergeben hatten.
Kilian erhob sich, trat zum Fenster und ging in die Hocke, um durch den kleinen Spalt zwischen Jalousien und Fensterbank auf die Straße spähen zu können. Der vorderste Fahrer des Taxistandes auf der anderen Seite wuchtete gerade den erbsengrünen Koffer einer aufgedunsenen Frau in den Kofferraum. Dann vernahm Kilian ein lautes Aufheulen aus der Küche, gefolgt von einem Poltern und einem erstickten Schrei. Joanas Schrei.
Er hastete in die Küche, wo Joana sich über ihre leblose Mutter beugte. Sein Herz pumpte Adrenalin durch den Körper, sodass es kribbelte, als ob Tausende von Ameisen durch seine Venen marschierten. Szenen aus dem Schulungsraum des Münchner Roten Kreuzes, wo er vor Jahren einen Kurs in Erster Hilfe belegt hatte, kamen ihm in den Sinn. Damals kniete er neben einer Plastikpuppe , der er zwischen den Beatmungen mit übereinandergelegten Handflächen auf das Brustbein drücken musste. Aber wie oft? Fünfmal? Fünfzehnmal …?
Er wies Joana an, sich zu beruhigen und den Notarzt zu rufen. Sie widersprach, schrie ihn in ihrer Aufregung auf Spanisch an, aber er drängte sie weg und kniete sich neben die reglose Inmaculada. Als Erstes fühlte er ihren Puls: Er war schwach, aber doch vorhanden. Dann legte er sein Ohr an ihren Mund und hörte ein leises Röcheln. So schlimm konnte es also nicht sein. Erleichtert richtete er sich auf. Joana schrie im Nebenzimmer irgendetwas ins Telefon. Augenblicke später stürzte sie zur Tür herein und er beruhigte sie, so gut es ging. Abermals fühlte er Inmaculadas Puls und kontrollierte ihren Atem, während Joana mit vor den Mund gepressten Fäusten auf ihre Mutter starrte. Kilian griff Inmaculada unter die Achseln, schleifte sie ins Wohnzimmer und legte sie auf das Sofa. Joana kniete davor und weinte. Er besorgte ein feuchtes Handtuch aus dem Bad und strich ihr damit über die Wange. Es dauerte weitere fünf Minuten, ehe sie aus dem Verkehrslärm ein Martinshorn heraushören konnten. Joana eilte nach unten, um den Rettungskräften den Weg zu zeigen. Inmaculada zuckte leicht mit dem Kopf und flatterte mit den Augenlidern, ohne sie ganz zu öffnen. Kilian streichelte ihre Wangenhöhlen. »I am so sorry … Perdona, señora«, flüsterte er.
Jetzt erst, als er im Treppenhaus das Getrampel der Rettungskräfte vernahm, ließ seine Anspannung nach und Vorwürfe machten sich in ihm breit. Diese gebrechliche, vom Leben gezeichnete Frau bekam durch seine Rücksichtslosigkeit einen Kollaps.
Schwankend erhob er sich, um für den Notarzt Platz zu machen. Am liebsten hätte er sich vor Scham in Luft aufgelöst. Gebeugt ging er zum Fenster und zog die Jalousien hoch, damit mehr Licht in den Raum fiel. Er ließ seinen Blick zu den fernen Bergen der Sierra Nevada gleiten, nur damit er Joana nicht in die Augen sehen musste. Hinter seinem Rücken hörte er den Notarzt auf Inmaculada einreden, die nun wieder das Bewusstsein erlangt hatte. Er konnte kaum etwas von dem Gerede verstehen, aber es schien, als ob Inmaculada sich dagegen sträubte, sich vom Arzt und dessen Helfern auf die Trage heben zu lassen. Nach einigen beruhigenden Worten Joanas ließ Inmaculada
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