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Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)

Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pata Negra: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduard Freundlinger
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Inmaculada hatten der Schmerz über den Verlust ihres Ehemannes und das Verschwinden ihrer Tochter gramfurchige Spuren hinterlassen. Joanas Mutter sah mit vielleicht Mitte fünfzig bereits so aus, als wäre sie Joanas Großmutter. Abgemagert auf fragile Knochen unter altersfleckiger Haut machte sie auf Kilian einen siechenden Eindruck, der durch die übliche Kleidung gläubiger Witwen in Spanien noch verstärkt wurde: Sie trug dunkle Schuhe, bis zu den Kniekehlen reichende Orthopädiestrümpfe über knorrigen Waden, dazu einen groben schwarzen Rock und eine gleichfarbige Strickweste.
    Inmaculada steckte sich das Tuch in die Rocktasche, dann neigte sie den Kopf und musterte ihn eindringlich. Plötzlich erhellten sich ihre Gesichtszüge, sie griff nach seiner Hand, schüttelte sie und brach in einen Wortschwall aus – von dem Kilian allerdings keine Silbe verstand.
    Joana unterbrach ihre Mutter. Die beiden diskutierten eine Weile miteinander und Kilian stand etwas betreten dabei, obgleich ihm Joana immer mal wieder einen aufmunternden Blick zuwarf. Außer hermano , was, wie er mittlerweile wusste, »Bruder« bedeutete, und Alemania verstand er allerdings kein einziges Wort. Natürlich ahnte er, dass Inmaculada ihn offensichtlich mit Xaver verwechselt hatte, dann aber fiel doch noch ein Begriff, für den er keine Übersetzung benötigte: muerte – Tod.
    Inmaculada wich zwei Schritte zurück und presste die Hände gegen ihre knittrigen Wangen. Mit vor Schreck geweiteten Augen starrte sie ihn an und sog geräuschvoll die Luft ein. »Dios mío, dios mío, dios mío«, murmelte sie. »Oh mein Gott!«
    Dann trat sie auf ihn zu und schloss ihn in ihre Arme, dabei reichte ihr kleiner Kopf nur bis zu seiner Brust. Wieder redete sie auf ihn ein, fing an zu weinen, zog ihr Tuch hervor, trocknete sich die Tränen, presste das Tuch gegen den Mund und dämpfte damit ihre Stimme. Kilian vermutete, dass sie ein Gebet sprach, und ließ sie gewähren. Ihr Mitleid hatte etwas Aufrichtiges an sich und das, obwohl sie seinem Bruder nur bei einer einzigen Gelegenheit begegnet war. In seinem Geburtsort hatten ihm die Einwohner beim Tod seines Vaters, der jahrzehntelang zur Dorfgemeinschaft gehörte, nur die Hand entgegengestreckt und »Mein Beileid« gebrummt. Damit war das Thema für die meisten erledigt. Beim Tod seiner Mutter taten sie nicht einmal das, sondern tuschelten nur hinter vorgehaltener Hand und warfen ihm böse Blicke zu.
    Inmaculada löste ihre Umarmung und wischte sich mit dem speichelfeuchten Tuch über die Augenhöhlen. Dann fingerte sie mit gichtigen Händen einen Rosenkranz aus einer Schublade des Altartisches, wandte sich ab und ging zurück in die Küche. Kilian verstand das Wort café . Er bedeutete Joana, ihre Mutter möge sich keine Umstände machen, aber Joana winkte nur ab und setzte sich auf das Sofa.
    Kilians Blick fiel erneut auf den Altartisch. Ungläubig starrte er ein weiteres Familienfoto an: Dem Alter der Töchter nach, war es vor etwa sechs oder sieben Jahren aufgenommen worden. Alle lächelten glücklich in die Kamera. Auch Inmaculada, die neben ihrem Mann und hinter Carmen, ihrer wie im Treibsand versunkenen Tochter stand. Konnte Kummer eine Person physisch dermaßen verändern? Die attraktive Frau im besten Alter auf dem Foto – bei der man sehr wohl eine deutliche Ähnlichkeit mit Joana erkennen konnte – hatte nichts mit der ausgemergelten Witwe gemein, die er gerade kennengelernt hatte.
    Betroffen ließ sich Kilian neben Joana auf dem Sofa nieder und blickte zur Küchentür. Eigentlich war er gekommen, um mit Joanas Mutter über Xaver zu sprechen, aber das kam ihm jetzt eigennützig vor. Nun verstand er auch Joanas gestrige zögerliche Haltung – und er platzte hier herein und brachte die arme Frau mit der ganzen Geschichte, die sie ja persönlich gar nichts anging, auch noch zum Weinen!
    »Joana … es tut mir leid, wir hätten nicht …« begann er, aber Inmaculada kam aus der Küche und stellte zwei Tassen Kaffee vor ihnen auf den Sofatisch.
    Während sie den etwas bitteren Kaffee tranken, stellte Joana ihrer Mutter eine weitere Frage. Es ging, so hatte sie ihm vorher bedeutet, um das Gespräch Inmaculadas mit Xaver vor dem Krankenhaus.
    Inmaculada dachte nach und rollte dabei eine Holzkugel ihres Rosenkranzes zwischen den Fingern. Kilian beobachtete sie aufmerksam. Die alte Dame hatte offensichtlich große Mühe, sich zu erinnern. Dann zeichnete sich deutlicher Schrecken auf ihrem Gesicht

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