Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
weitergehen konnte. Dann habe ich mich an eine Psychologin gewandt.«
»Und hat sie dir helfen können?«
»Ich denke schon. Sie gab mir diese Pillen und sprach viel mit mir, aber …«, er wandte sich ihr zu, »mit ihr konnte ich nicht so sprechen wie mit dir – nicht so offen . Es ist schön, mit dir über alles reden zu können, obwohl du ja selbst …«
Joana nickte. »Kilian, ich bin keine Psychologin, aber ich kann dir nur einen Rat geben: Du musst die Vergangenheit loslassen. Du musst versuchen, die Gegenwart zu genießen, und nach vorne blicken, so schwer dir das manchmal auch fallen mag. Glaub mir, ich weiß wovon ich rede. Und was deine Mutter anbelangt, ich hätte wohl das Gleiche getan.«
»Ja?«
»Ja. Wäre ich in dieser Situation gewesen, ich hätte sie auch von ihren Schmerzen erlöst.«
Kilian nickte und sah zu, wie sich Joana eine Locke aus dem Gesicht strich und zum Sternenhimmel hochsah. Ein Windhauch trieb ihnen Piniengeruch in die Nase. Sie saßen eine Weile schweigend nebeneinander, bis Kilian seine spanische Schicksalsbekanntschaft schniefen hörte.
»Glaubst du, dass meine Mutter sich selbst von ihren Schmerzen erlöst hat? Vom Schmerz über Carmen?«
Kilian legte ihr den Arm um die Schultern, als wäre das zwischen ihnen schon selbstverständlich. Sie umarmte ihn und weinte an seiner Brust. So viel also zu ihrem Du musst die Vergangenheit loslassen können. »Ich weiß es nicht, Joana«, flüsterte er und streichelte über ihren bebenden Rücken. »Aber ich könnte deine Mutter verstehen. Doch um die Frage wirklich zu beantworten, dafür bin ich wohl kaum der geeignete Parameter. Die letzten beiden Jahre war ich mir selbst sicher, dass ich sterben werde, ich wusste nur noch nicht wann.«
»So etwas darf man doch nicht einmal denken, Kilian!«
»Ich habe mir meine Gedanken in letzter Zeit auch nicht aussuchen können.«
Ein Geräusch ließ sie herumfahren und Joana löste sich von ihm. »Hast du das auch gehört?«
»Hm … ein Schrei?« Er beugte sich vor, starrte über den beleuchteten Hotelpool hinweg, wo der Hang beinahe senkrecht nach Almuñécar abfiel. Es schien von irgendwo dort draußen gekommen zu sein, aber in der Dunkelheit jenseits der Außenanlagen war nichts zu erkennen.
»Vielleicht war es auch nur ein Tier«, flüsterte sie, »hörst du noch was?«
Kilian schüttelte den Kopf und Joana sah auf ihre Uhr. »Fast schon halb eins. Du, ich muss jetzt wirklich los.«
Er ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken und begleitete sie zur Tür. »Danke, dass du gekommen bist, Joana. Ich bin froh …« Weiter kam er nicht mit seiner holprigen Sentimentalität. Joana legte ihm den Zeigefinger auf den Mund, küsste ihn auf die Wange und verschwand den Flur hinunter.
Joana wollte auf keinen Fall gesehen werden, wie sie nach Mitternacht aus den Zimmeretagen kam. Das wüsste am nächsten Morgen das ganze Hotel. Also nahm sie die Treppe und trat im Erdgeschoss durch den Notausgang ins Freie, obwohl man durch die Lobby auf kürzerem Weg zum Parkplatz gelangen konnte. Sie folgte dem Pfad an der Westseite des Hotels und bog um die Ecke in Richtung Parkplatz. Plötzlich wurde keine drei Meter vor ihr die Seitentür des Hotels aufgestoßen. Joana erschrak heftig, aber nicht so heftig wie …
Verflucht, was macht die denn hier? Er starrte sie an.
»Du meine Güte, hast du mich erschreckt«, keuchte Joana.
Er brauchte eine Weile, um sich zu sammeln. Das passte jetzt gar nicht. »Ähm, wo kommst du denn her?«, brachte er heraus und musterte sie. Joana erschien verlegen. Seltsam …
»Ich habe hier eben einen Schrei gehört«, sagte sie rasch, »also hab ich kurz nachgesehen …«
»Einen Schrei?«
Joana nickte. »Ja, ich glaube schon, aber vielleicht hab ich mich auch geirrt. Und wo kommst du her?«
»Ich? Na, von der Arbeit. Aber jetzt mach ich Feierabend.« Er rieb sich das Kinn. »Einen Schrei habe ich jedenfalls keinen gehört … und du hast hier draußen wirklich nachgesehen?«
»Ja, aber hier ist ja niemand, und das mit dem Schrei war vielleicht nur ein Hund. Hör zu, es war ein langer Tag und ich muss nach Hause. Gute Nacht!«
»Gute Nacht«, sagte er, trat aber nur widerwillig zur Seite.
Dann sah er ihr nach, wie sie den Parkplatz überquerte. Da hatte er sich solche Mühe gegeben, nicht gesehen zu werden, und dann das: Jetzt gab es eine Zeugin! Ausgerechnet Joana, der er am Nachmittag zum Tod ihrer Mutter das Beileid ausgedrückt hatte, musste ihm über den Weg
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