Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
nicht jede Viertelstunde verlassen, nur um seine Nerven mit einer Kippe zu beruhigen. Gerade jetzt, wo es hier vor Beamten nur so wimmelte!
Durch die getönten Scheiben sah er, wie vier Uniformierte und ein Zivilist hinter einer Absperrung beim Abhang standen und wohl rätselten, was da letzte Nacht vor sich gegangen war. Weitere zwei Dutzend Ermittler befanden sich derzeit im Konferenzsaal und befragten Gäste und Angestellte.
Früher oder später würden sie auch bei ihm aufkreuzen und es wunderte ihn ein wenig, dass sie das bis jetzt noch nicht getan hatten. Hoben sie sich ihr Filetstück, also den Hauptverdächtigen, bis zum Schluss auf? Wohl kaum. Hätten sie schon einen konkreten Verdacht oder gar einen Hinweis auf ihn, dann hätten sie ihn schon längst in die Mangel genommen …
Er versuchte sich zu konzentrieren, aber sein Kopf war ähnlich benebelt wie das Wageninnere. Trotzdem steckte er sich eine weitere Zigarette mit der Glut der alten an. Er bog den Rückspiegel zurecht und sah seinem Spiegelbild in die Augen. Dann leierte er, heute bereits zum fünften Mal, sein Alibi herunter, als wäre er ein seniler Schauspieler bei der Probe: »Ich war den ganzen Abend an meinem Arbeitsplatz. Gegen 00.30 Uhr verließ ich dann das Hotel durch den Seitenausgang, wo ich Joana traf, mit der ich mich kurz unterhielt. Danach bin ich in die Beachbars nach Almuñécar, wo ich bis fünf Uhr morgens blieb.«
Er atmete tief durch. Das hörte sich doch alles schon ganz gut an. Dass er aber nur bis zehn nach zwölf gearbeitet hatte, bevor er sich aufmachte, um sich mit diesem Miststück zu treffen, konnte niemand wissen: Dafür gab es keine Zeugen.
Er schmunzelte. Elena war gestern tatsächlich so einfältig gewesen, ihm zu versichern, dass absolut niemand von ihrem Treffen wusste. Sie war wirklich strohdumm, denn damit hatte sie buchstäblich ihre eigene Lebensversicherung storniert.
Und dabei hatte er nicht einmal vorgehabt, sie zu töten – bei diesem beschissenen Felsen, den sie den »Stein der Liebe« nannte. Trotzdem hatte er darauf aufgepasst, dass ihn auf seinem Weg zum Treffpunkt niemand beobachtete. Er rauchte nicht und achtete sorgfältig darauf, auch sonst keine Spuren zu hinterlassen. Hatte er die Tat also doch insgeheim geplant? Wollte er tief in seinem Inneren endlich diese störrische, labile Komplizin loswerden, die obendrein noch an die ewige Liebe an seiner Seite glaubte?
Muss wohl so gewesen sein, aber eigentlich war es ja ein Unfall, schließlich ist sie ja gestolpert …
Er nahm einen weiteren tiefen Zug.
Anfänglich hatten sie nur, wie in letzter Zeit leider üblich, wegen der Sache mit Carmen gestritten – »das untragbare Geheimnis«, wie die pathetische Kuh es nannte –, aber dann spuckte sie ihm ins Gesicht. Da war der Bogen deutlich überspannt! Als er sich schließlich mit ausgestreckten Armen gegen sie warf, sagte sie nur noch zwei Worte, zwei Worte, die ihm aber sofort den Schweiß auf die Stirn trieben: »Zu spät …«
Zum Glück hatte sie wenigstens nicht mehr lange schreien können.
Natürlich hatte er seine Tat sofort bereut, aber nur weil er sie da nicht mehr fragen konnte, was sie mit dem verfluchten »zu spät« gemeint hatte!
Er ahnte Schreckliches.
Dieses verdammte Luder war vielleicht gar nicht so blöd, wie er immer angenommen hatte. Womöglich besaß sie ihm gegenüber doch eine Lebensversicherung und hatte für den Fall ihres Ablebens irgendwie vorgesorgt?
Er dachte zurück. Ihr Schrei gestern hatte ihn sekundenlang in Panik versetzt, dann aber hatte er sich zur Ruhe gezwungen. Zufrieden dachte er daran, wie er mit einem Zweig nach den Riemen von Elenas Handtasche gefischt und diese so den Abhang hinunterbefördert hatte – natürlich ohne seine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Dann verließ er das Gelände, wobei er peinlich darauf achtete, dass er mit keiner Faser seiner Bekleidung an den Büschen hängen blieb. Alles war nach Plan verlaufen, sofern man von einem Plan sprechen konnte, bis er feststellte, dass er seine Autoschlüssel im Hotel vergessen hatte. Also schlich er wieder zur Hintertür rein und gerade als er wieder herauskam, stieß er auf Joana! Er war sich beinahe sicher gewesen, dass Joana ihm hatte ansehen müssen, was eben geschehen war, aber Joana schien andere Sorgen zu haben. Er hatte einen Moment lang mit dem Gedanken gespielt, sie an Ort und Stelle zu erwürgen und ebenfalls den Abhang hinunterzuwerfen; auf eine Tote mehr oder weniger kam es
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