Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
laufen. Gut, sie hatte ihn wohl nicht zusammen mit Elena gesehen, aber sie konnte nun bestätigen, dass er zur fraglichen Zeit hier herumstreunte. Und zu allem Überfluss hatte sie auch noch den verfluchten Schrei gehört. Elenas Schrei! Was für ein Fehler! Aber sein zweiter Fehler war nicht minder schwerwiegend: Er hätte schneller reagieren müssen und seine Zeugin ausschalten sollen, ehe sie ihn belasten konnte.
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A ls Señora Josefina am nächsten Morgen die Wäsche auf ihrem Balkon abnehmen wollte, warf sie wie üblich einen Blick in die Tiefe. Señora Josefina wohnte in einem der zwölfstöckigen Mietshäuser am Paseo Velilla, ihre Augen waren nicht mehr allzu gut, dennoch konnte sie von ihrem Balkon im dritten Stock, der sich in etwa fünfzehn Meter über dem Erdboden befand, ein seltsames Bündel erkennen, das unten zwischen dem Geröll und Gestrüpp auf dem staubigen Boden lag. Obgleich sich dieser Teil des Hauses nicht mehr in Señora Josefinas Herrschaftsbereich befand, ärgerte sie sich doch über die nächtlichen Besucher, die offenbar wieder einmal Müll abgeladen hatten. Señora Josefina machte ihren Mann, der ein besseres Augenlicht besaß, auf diesen Umstand aufmerksam und wunderte sich ein wenig, als dieser, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, nach einem kurzen Blick nach unten zum Telefonhörer griff, um die Guardia Civil zu alarmieren.
Kaum eine halbe Stunde später tauchte Juez Señor Puertas an der Rückseite des Gebäudes auf und starrte den Abhang hinauf. Das Gelände zwischen dem Hotel oben auf dem Hügel und dem zwölfstöckigen Wohnhaus hier unten am Strand von Velilla fiel beinahe senkrecht ab. Es war derart steil, dass man ohne Chance auf Halt über Felsen und Gestrüpp gut hundert Meter in den Tod stürzen konnte. Dementsprechend zerschunden war auch der Körper der jungen Frau, die sie gerade geborgen hatten. Wie eine zertretene Barbiepuppe, dachte Juez Señor Puertas, der nun schon zum dritten Mal in diesem Monat einen levantamiento del cadáver unterschreiben musste.
Die Nachricht, dass Elena in den Tod gestürzt war, ließ den Hotelbetrieb für Stunden zum Erliegen kommen. Das Personal wurde von der Guardia Civil verhört, die Gäste wurden ebenfalls befragt, was einigen der Touristen Anlass bot, sich lauthals zu beschweren, da sie nicht am geplanten Ausflug zur Alhambra teilnehmen konnten. Das Küchenpersonal jedenfalls trauerte um Elena, und zum Zeichen ihrer gemeinsamen Anteilnahme blieben die Töpfe kalt. Langsam breitete sich Panik aus. Für die meisten Angestellten des »Palace« stand längst fest, dass hier ein Serienmörder sein Unwesen trieb. Keiner wollte glauben, dass die junge Elena entweder aus Versehen oder gar mit Absicht zu Tode gekommen war.
Die Gespräche auf den Fluren, in der Wäscherei, dem Restaurant und in allen anderen Bereichen des »Palace« drehten sich folglich um die gleiche unheimliche, aber auch logische Schlussfolgerung: Wenn drei Tote im Zusammenhang mit diesem Hotel starben, dann musste der Killer entweder hier wohnen – oder aber hier arbeiten!
Der Erste, der einen konkreten Verdacht in der Sache hegte, war Ramón, der hundertfünfzig Kilogramm schwere, stellvertretende Küchenchef. Als er von Sandra, die das Geschirr spülte und als Elenas beste Freundin galt, erfuhr, dass Mohammed, der Küchenjunge, vergangene Nacht als Letzter zusammen mit Elena den Arbeitsplatz verlassen hatte, stand für ihn fest, wer der Mörder war: el moro – der Marokkaner. Wer denn sonst?
Also packte Ramón den verschreckten Jungen am Kragen und rammte ihn gegen ein Regal mit Töpfen und Schüsseln. Mit der anderen Hand schnappte er sich eine der kleineren Paellapfannen und schlug dem kreischenden Mohammed auf die Arme, mit denen dieser seinen Kopf schützte. Es brauchte zwei Aushilfskellner und Agustina, die stämmige Köchin, um Ramón davon abzuhalten, dem jungen Marokkaner gröbere Verletzungen zuzufügen. Von Ramón derart ins Rampenlicht gezerrt, musste Mohammed im Anschluss eine intensive Befragung durch die Guardia Civil über sich ergehen lassen, bei der er immer wieder bei Allah beschwor, nichts mit Elenas Tod zu tun zu haben. Zwar wollte keiner der Beamten nur wegen Mohammeds religiöser Beteuerungen an seine Unschuld glauben, aber das Gegenteil konnten sie ihm auch nicht beweisen …
Verdammtes Rauchverbot!
Er saß im Auto, inhalierte, bis sich seine Wangen nach innen wölbten und starrte zum Hotel hinüber. Er konnte seinen Arbeitsplatz
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