Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
zu den schwersten zählt.«
»Das ist mir klar«, antwortete sie. »Aber nach meiner Einschätzung könnte es kaum schlimmer sein. Und wissen Sie, wieso? Weil das Geld ihm egal ist; ihm geht es nur um das, was er macht.«
Draußen vor dem Kloster verabschiedete Nick sich hastig und ging zum Parkplatz. Pater Anselm lief hinter ihm her.
»Nick«, sagte der Mönch atemlos, »Sie haben während der ganzen Sitzung kein Wort gesagt … ist alles in Ordnung?«
»Es gibt nichts zu sagen«, antwortete Nick. Er wollte sich nicht länger aufhalten und nicht im Gästehaus zu Mittag essen, er wollte nicht mit Mr. Bradshaw plaudern. In Gedanken war er bei seinem einsamen, bekümmerten Vater, der als verschwommene Gestalt an einem Fenster stand.
»Kommen Sie zu der Vernehmung?«, fragte Pater Anselm.
»Nein.« Die ganze schmutzige Geschichte hatte ihn zurückversetzt in Mr. Wyecliffes muffige Höhle. Er schaute den netten besorgten Mönch an. »Als ich das erste Mal nach Larkwood kam, sagten Sie: ›Drehen Sie keine alten Steine um. Lassen Sie sie ruhen, wo sie hingelegt wurden.‹ Sie hatten Recht. Ich hätte die ganze Sache auf sich beruhen lassen sollen. Und jetzt möchte ich nach Hause fahren.«
Es war Spätnachmittag, als Nick in St. John’s Wood den Motor abstellte und an seine Mutter dachte, deren Leistung er nicht schmälern wollte. Aber er konnte sich nicht helfen: ein Schlüssel in einem Buch, ein Brief an einen Mönch, ein Päckchen für die Polizei und die ganze Verschwörung mit Mr. Bradshaw – so viel Mühe bis zum Augenblick ihres Todes, aber wozu? Eine Fixierung auf einen kleinen Ganoven und seine kleinen kriminellen Machenschaften. In einem befreienden Moment der Selbsterkenntnis ließ Nick die ganze Sache fallen wie den Koffer eines anderen. Das war das Leben seiner Mutter, nicht seines. Er war frei. Er war immer frei gewesen.
Als Nick nach dem Zündschlüssel griff, fiel sein Blick auf ein kleines orangefarbenes Dreieck. Ein Eckchen Papier war im geschlossenen Aschenbecher eingeklemmt. Er zog einen Werbezettel für einen Trödelmarkt heraus. Alle Standinhaber waren mit Telefonnummer aufgeführt. Im unteren Teil der Liste sah er einen mit Kugelschreiber eingekreisten Namen, den er kannte: Graham Riley.
Nick stieß das Gartentor auf und musste an Mrs. Dixon denken, die mit seiner Mutter eines gemeinsam hatte: Sie wussten beide, wie es war, jemanden zu verlieren.
10
NANCY WAR PERPLEX. Rileys Gang war so schwungvoll, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Beim Frühstück hatte er Prosser angerufen und angeboten, ihm auf der Stelle sein Geschäft zu verkaufen, wenn der Preis stimmte. Es hatte ein bisschen Gefluche gegeben, aber schließlich hatten die beiden Männer vereinbart, sich zu treffen.
»Es wird was, Nancy«, sagte ihr Mann im Hinausgehen. »Wir gehen nach Brighton.«
»Für ein Wochenende?«
»Für immer.«
Lachend war er nach Wanstead Park aufgebrochen. Das war noch nie vorgekommen. Ebenso wenig wie das verblüffende Erlebnis am Abend zuvor. Sie hatten nebeneinander im Bett gelegen und über Onkel Berties Leber geredet. Nancys Arm hatte sich in die Lücke zwischen ihnen verirrt. Riley redete weiter über Hochprozentiges und berührte dabei leicht ihre Finger und ihr Handgelenk; er hatte sich daran festgehalten wie jemand im Film, der aus einem Boot oder von einer Klippe gefallen ist, aber ohne Panik oder Geschrei; er redete einfach weiter mit heiserer Stimme über Alkoholgehalt und Organschäden. Als er einschlief, ließ er los. Er träumte nicht. Intuitiv machte Nancy sich Sorgen. Sie hatte ihren Mann immer als Fass gesehen, das mit Eisenreifen zusammengehalten war, und sich gefragt, was passieren mochte, wenn sie abfielen. In gewisser Weise war das jetzt geschehen … und es hatte keine Explosion gegeben. Irgendwie stimmte da was nicht.
Aber den Gedanken an ein Haus in Brighton fand Nancy ungeheuer aufregend. Es gab allerdings zwei Haken, einen kleinen und einen größeren: Weder Arnold noch Mr. Johnson waren wieder aufgetaucht. Das größere Problem führte sie zu der Plastiktüte in ihrem Laden, der bald Prosser gehören würde. Ausnahmsweise hatte sie einen Grund, in den Heften zu blättern – nämlich Emilys Adresse zu suchen. Nancy wollte ihr alle Hefte geben, die ihr Mann geschrieben hatte. Was sollte sie sonst damit machen?
Nancy saß auf einem Hocker, hörte den Verkehr über den Höcker rumpeln und blätterte ein paar Seiten durch, bis ihr Blick auf einen Namen
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