Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
veranlasst, aktiv zu werden.
»Ich habe das vorher nicht erwähnt, weil es … mir peinlich war, was ich darauf geantwortet habe«, erklärte der Prior.
»Sie fing an zu weinen, weil sie noch so vieles ändern wollte, was jetzt außer Reichweite lag.« Pater Anselm zupfte an einer Augenbraue. »Ich habe versucht sie zu trösten und gesagt, was zählte, sei nicht der Anfang, sondern das unbekannte Ende, weil es völlig unsere Sicht verändert, woher wir kommen, was wir gemacht haben, wer wir letztlich sind … Ich sagte, es sei nie zu spät, selbst die letzten Worte oder eine letzte Tat könnten diese fantastische Veränderung bewirken … das sei wie Magie. Die Leitung war wie tot, aber dann hörte ich sie ›Danke‹ sagen. Das nächste Mal sah ich sie, als sie dir den Schlüssel gab.«
»An dem Tag, als sie das vorbereitete, was sich jetzt abspielt«, stellte Anselm fest.
Nach und nach wurden die Straßen schmaler, und die Straßenlaternen verschwanden. Die Sterne waren verdeckt, und der Mond beschien matt den Rand einer Wolke. Darunter tauchte Larkwood auf wie ein Schwarm Glühwürmchen. Nachdem sie den Wagen unter den Pflaumenbäumen abgestellt hatten, trotteten sie auf dem gewundenen Pfad zum Kloster. Anselm konnte den Prior kaum sehen, hörte seine Stimme aber klar und deutlich: »Ich fürchte, du musst wieder nach London fahren. Das bist du Elizabeth schuldig, und George, seiner Frau und seinem Sohn. Vielleicht ist es auch Mr. Riley geschuldet; vielleicht auch dir.«
Die letzte Verknüpfung gefiel Anselm ganz und gar nicht, aber er fasste sie als Folge eines missglückten Satzbaus auf.
»Wann soll ich fahren?«
»Morgen Abend. Es bleibt keine Zeit nachzudenken. Wie du gesagt hast, ihr Plan geht schon jetzt in die Brüche.«
Anselm dachte an George, der mit Schweißerbrille durch eine Gasse stolperte. »Wie soll ich einen Mann finden, der sich selbst verloren hat?«
»Ich spreche mit Cyrils Nichte.«
»Wie bitte?«
»Cyrils Nichte Debbie. Sie arbeitet mit Obdachlosen in der Nähe von Euston.«
Anselm stellte sich eine genervte wuchtige Dicke mit kurzen Haaren und einem Mund wie ein Briefkasten vor. »Glänzende Idee«, sagte er großzügig.
Am Eingang von Larkwood fummelte der Prior mit einem riesigen Schlüssel herum, der vor Jahrhunderten aus Eisen geschmiedet wurde. Als die Tür aufschwang, hielt der Prior Anselm am Arm fest, und sie blieben auf der Schwelle stehen.
»Finde heraus, wer Elizabeth war«, sagte er, »suche das Kind, das heranwuchs, um eine Robe zu tragen, die zu schwer für seine Schultern war.«
Er schien verschwunden zu sein, so tief war die Dunkelheit.
»Wo soll ich anfangen?«, fragte Anselm mit wachem Gespür für sein Gegenüber.
»Beim Deckblatt eines unvergleichlichen Buches.«
Anselm erinnerte sich an die Widmung einer Nonne in Die Nachfolge Christi und musste über die Gestalt grinsen, die vor ihm wieder mit dem Schlüssel klapperte und fummelte.
Bis zum Spätnachmittag des folgenden Tages waren alle nötigen Vorbereitungen für Anselms Fahrt nach London getroffen: Bei den Augustinern in Hoxton war ein Zimmer für ihn reserviert; es waren nacheinander Termine mit Debbie Lynwood und Inspector Cartwright vereinbart (die natürlich nichts von Elizabeth’ scheiterndem Plan und den Beweisen wusste, die George Bradshaw besaß); nach einem langen, unterhaltsamen Gespräch mit der Provinzialin der Töchter der christlichen Liebe hatte er sich mit Schwester Dorothy verabredet, einer Einzelgängerin, wie durchsickerte, die mittlerweile ihren erzwungenen Ruhestand in Camberwell erduldete; und schließlich hatte der Prior ihm einen Umschlag mit ausreichend Bargeld für eine Woche gegeben, eine großzügige Geste, die Anselm eine Begegnung mit dem Cellerar erspart hatte.
Nach der Vesper rief Pater Andrew Anselm aus dem Chorgestühl in die Chormitte. Nach alter Sitte verließ niemand ohne den Segen des Priors Larkwood. um eine Reise anzutreten. Er hatte ein Büchlein voller geschliffener Abschiedsworte. Man kniete vor ihm nieder und wartete gespannt, welchen Spruch er einem mit auf den Weg geben würde.
Anselm senkte den Kopf, aber wie eine Gotteslästerung kam ihm Riley in den Sinn: das wippende Knie, klimperndes Gold an einem knochigen Handgelenk und schmale, verkniffene Lippen. Das Bild ließ Anselm erstarren, und erst bei den abschließenden Worten des Priors wachte er verdutzt auf.
»Möge das Licht deine Schritte, Gedanken, Worte und Taten lenken und dich wohlbehalten
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