Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
Jeden Freitagabend sah man sie im selben Pub vor dem Haupttor, im Admiral – eigentlich eine Spelunke, aber uralt und mit einem Nebenzimmer aus einer Schiffskajüte. Ein großes Plastikschild verkündete, dass die Besitzer »seit der Zeit der Takelagen und Segel« Seehund servierten. Der Wirt gab Martina den Spitznamen Babycham, weil sie nichts anderes trank als diesen Birnenwein. Eigentlich war Nancy die Pummelige von den dreien, aber wenn sie eingezwängt zwischen den beiden anderen saß, machte das anscheinend nichts aus. Sie zog sich hübsch an, und es gab immer Jungs, die sich an ihren Tisch setzen wollten. Wenn Nancy nun nach der vergangenen Nacht an damals zurückdachte, fiel ihr etwas über das Wochenende ein: Meistens hatte niemand sie eingeladen, mit ihr auszugehen. Mittlerweile konnte sie das zugeben. Was spielte es schon für eine Rolle? Schließlich hatte sie ihren Mann nicht durch ihre Freundinnen kennen gelernt.
Riley kam gewöhnlich mit allen anderen um acht Uhr morgens. Damals hatte jeder eine Karte, die er in einer großen Stempeluhr abstempeln musste. In der Mittagspause war es ebenso. Die Jungs hatten alle eine Stunde Pause, aber sie mussten ihre Karten abstempeln, wenn sie das Gelände verlassen hatten, um nachzuweisen, dass sie pünktlich wieder zurück waren. Es war altmodisch, aber Mr. Lawton hing an dem Gerät. Er hielt nichts davon, mit der Zeit zu gehen. Eigentlich komisch, dass seine Firma sich so lange auf der Isle of Dogs gehalten hatte, während alle anderen schließen mussten. Jedenfalls lungerte Riley eines Tages so lange im Büro herum, bis sie allein waren. Er war erst vor zwei Monaten eingestellt worden, nachdem seine Firma ein Stück weiter an der Straße Leute entlassen hatte. Er war also neu und anders als die anderen – kein Freitagabend-Kerl, kein Säufer. Still. Hielt sich für sich. Brauchte keine Freunde – und wollte keine. Sein Haar war immer zerzaust und seine Augen konnten nicht still halten. Sie waren blaugrün und durcheinander, als hätte man ihn in einer Flasche durchgeschüttelt. Und ihm war Nancy aufgefallen. Er beobachtete sie aus seiner Kranführerkabine. Das wusste sie, weil er einmal am falschen Hebel gezogen und eine Kiste Bananen fallen gelassen hatte und alle Schauerleute sauer waren. An diesem Tag merkte Nancy also, wie er schüchtern und gereizt herumlungerte. Sie dachte, er würde sie zu dem großen Tanz in White City einladen, aber das tat er nicht. Stattdessen bat er sie, ihren Job zu riskieren.
»Stempelst du meine Karte für mich ab? Ich muss zu meinen Mietern.«
Nancy war beeindruckt. Dieser Mann besaß Eigentum. Das gab es bei Lawtons Jungs nicht oft. Ein Spargroschen, erklärte er. Er ließ andere seine Hypothek abzahlen.
»Ich brauche nur eine halbe Stunde«, sagte Riley mit einem Blick über die Schulter.
Nancy willigte ein, und er musterte ihr Gesicht, als suche er nach Pickeln. Dann sagte er, als mache er ihr ein kostbares Geschenk: »Ich wusste, dass ich dir vertrauen kann.«
Sie wartete, dass er sie einlud, mit ihm auszugehen, aber er tat es nicht. Etwa eine Woche später schlug er vor, mit ihr in einem Hotel Tee zu trinken. Sie sagte ja und dachte, er meinte eins der Häuser auf der Commercial Road, aber er fuhr mit ihr nach Brighton, was ein doppelter Schock war, weil er auch noch den Zug bezahlte – erster Klasse, bitteschön. Innerhalb von sechs Monaten waren sie verheiratet. Nur Babycham und Rose waren dabei. Es gab keine Feier, nur einen kostenlosen Drink im Rathaus und einen spröden Kuss vom Standesbeamten. Ihrem Mann gefiel das ganz und gar nicht. Auch ihre Freundinnen gefielen ihm nicht. Sie traf sie immer noch am Lawtons Kai, aber die Dreisamkeit war dahin. Mit den gemeinsamen Freitagabenden im Pub war es vorbei. Nancy machte das nicht allzu viel aus, weil sie ihr rückblickend nie sonderlich viel Spaß gemacht hatten.
Sie zogen in Rileys Bungalow und richteten sich ein Heim ein. Nancy hatte immer von einem Kräuterbeet geträumt, aber es gab keinen Garten, nur Steinplatten. Also fing sie an, Ziegelsteine vom Treidelpfad am Limehouse Cut zu sammeln – immer nur einen, wenn sie zufällig einen im Gras fand. Ganz allmählich wuchs der Backsteinstapel im Laufe ihrer Ehe, aber das Beet wurde nie gebaut. Immer fehlten noch ein paar. Und das spiegelte ihr gesamtes Zusammenleben wider. Immer fehlte etwas. Nur wenige Wochen nach dem kostenlosen Drink im Rathaus tauchte der Mann, der mit ihr nach Brighton gefahren war, in
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