Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
zusammen.«
Es war früh am Morgen, und sie war gerade in die Küche geschlüpft und hatte ihren Mann im Schlaf weiter stöhnen lassen.
Nancy erkannte durchaus die Zusammenhänge zwischen Dingen. Schon immer. Als sie noch auf der Isle of Dogs für Harold Lawton arbeitete, hatte sie einmal eine kleine Betrügerei des Geschäftsführers aufgedeckt.
»Als ich dem Chef gezeigt habe, wie es lief, hat er gesagt, ich hätte es noch weit bringen können«, murmelte Nancy.
Das war lange her, aber jetzt hatte Nancy wieder dasselbe Gefühl, eine Entdeckung gemacht zu haben. Es gab einen Zusammenhang zwischen Dingen, die scheinbar nichts miteinander zu tun hatten: Der Tod der Anwältin, das Foto, das mit der Post gekommen war, und die Veränderung in den Alpträumen ihres Mannes.
Vor zwei Wochen hatte Nancy eine Zeitung gekauft. Auf Seite fünf hatte ein Name ihre Aufmerksamkeit erregt. Kronanwältin Elizabeth Glendinning, eine bekannte Prozessanwältin, hatte man tot am Steuer ihres geparkten Wagens im East End aufgefunden. Sie war an Herzversagen gestorben, während sie versucht hatte, telefonisch Hilfe zu rufen. Abends hatte Nancy ihrem Mann den Artikel gezeigt.
»Was für ein Zufall«, sagte Nancy. »Sie war ganz in der Nähe vom Mile End Park.«
Riley nickte und starrte auf die Zeitung.
»Hast du sie auf dem Weihnachtsmarkt gesehen?«, fragte Nancy.
Riley malmte mit dem Kiefer, als jucke sein Zahnfleisch.
»Sie haben ein paar alte Löffel auf dem Sitz gefunden«, sagte Nancy nachdenklich. »Es ist traurig, wenn du mich fragst.«
Nachts stöhnte Riley, als ob er auf kleiner Flamme geröstet würde. Sein Gesicht war heiß und verschwitzt. Und dann, vor ein paar Tagen, kam der Brief. Na ja, es war eigentlich kein Brief. Als Riley den Umschlag öffnete, fiel ein Foto heraus. Sie starrten beide auf das zerknitterte Schwarzweißfoto auf dem Tisch. Nancy sah eine breite Brust, breite Hosenträger und ein Hemd ohne Kragen.
Riley schlug mit der flachen Hand auf das grinsende Gesicht wie nach einer Wespe.
Nancy fuhr erschrocken auf. »Wer ist das?«, fragte sie erschüttert.
»Niemand.« Sein Blick war starr auf seine Finger gerichtet, als könnte etwas dazwischen hervorkriechen.
Nancy hakte nicht weiter nach. Sie hatte gelernt, es zu lassen. Sie kannte die Zeichen. Er war wie heißes Wasser kurz vor dem Siedepunkt. In jener Nacht schrie er. Das war an sich nichts Ungewöhnliches. Seit dem Prozess litt Riley unter Alpträumen. (»Berufsrisiko«, sagte Mr. Wyecliffe, als leide er auch daran.) Es waren immer dieselben Träume: Er rannte um sein Leben, von etwas wie einem Hund gejagt, den sie mal beim Rennen gesehen hatten, und dann fiel er … aber dieses Mal war es etwas anders.
»Was ist?«, schrie Nancy. Sie hatte auf sein Gemurmel gehorcht, aber sein Schrei hatte sie erschreckt wie ein Stein, der durchs Fenster flog. Zu ihrer Verwunderung grub er den Kopf in ihre Halsbeuge.
»Ich falle.«
Nancy streichelte seinen verschwitzten, knochigen Kopf. Er legte die Hand auf ihre, und so blieben sie liegen, als ob sie auf einen Krankenwagen warteten. Dann sagte er das, was neu war, die Veränderung in dem Traum: »Ich falle einfach eine endlose Treppe runter.«
Eine Treppe? Träume waren schon seltsam.
Von diesem Tag an wurden Rileys Alpträume schlimmer. Um müde zu werden, fing er an, mitten in der Nacht am Limehouse Cut entlangzugehen, dem Kanal, der durch Bow zur Themse floss. Er lauschte auf die Füchse in den alten Lagerhäusern. Aber das kam erst später. Als Riley sich an jenem Abend beruhigt hatte, kehrte er Nancy den Rücken zu, und ihr wurde flau im Magen, denn er wandte sich immer von ihr ab; daran hatte sie sich nie gewöhnen können. Nancy sagte sich, ich bin doch nicht blöd. Dieser Traum, das Foto und der Tod der Anwältin haben irgendwas miteinander zu tun. Mr. Lawton hatte ihr damals nicht geglaubt, aber letzten Endes hatte sich herausgestellt, dass sie Recht hatte, und er hatte gesagt: »Du hättest es weit bringen können.«
Wenn man richtig darüber nachdachte, war es eigentlich eine Beleidigung. Dem Chef war herausgerutscht, was er von Nancy dachte: dass sie nichts aus ihrem Leben gemacht hatte. Sie hatte nur für ihn gearbeitet und Graham Riley geheiratet.
Als Nancy sechzehn wurde, hatte sie zusammen mit Rose Clark und Martina Lynch angefangen, im Hafen zu arbeiten. Sie waren seit der Grundschule zusammen und blieben Freundinnen. Jeder, der auf Harold Lawtons Kai arbeitete, kannte die drei.
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