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Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Titel: Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Brodrick
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Augen, als sie sich das Bild in Erinnerung rief. »Ein großer, hagerer Mann mit gewichstem Schnurrbart und glänzendem, schwarzem Haar. Er trug jeden Tag einen Klappenkragen. Ein Mann, der seiner Zeit um fünfzig Jahre hinterher war.« Sie warf einen flüchtigen Blick auf Anselm. »Hat sie Ihnen von ihm erzählt?«
    »Nicht in Einzelheiten«, antwortete Anselm. Tatsächlich hatte sie ihn nie erwähnt.
    »Er war ein unglücklicher Versicherungsvertreter in Manchester. Wenn er sein Soll an Abschlüssen gemacht hatte, schloss er sich auf dem Dachboden ein und versuchte, einen elektrischen Rauchmelder zu erfinden. Mehrmals brannte er beinah das Haus ab. Aber er gab nie auf. Er dachte, wenn er es schaffte, würde die Branche eine Police nach ihm benennen.«
    »Es ist ihm nicht gelungen?«
    »Nein.« Sie stockte und betrachtete eine hohe, efeubewachsene Mauer. »Aber er machte ein Vermögen.«
    Anselm stellte sich einen Mann vor, der entfernte Ähnlichkeit mit Elizabeth hatte.
    »Links steht ihre Mutter«, erzählte Schwester Dorothy weiter wie eine Museumsführerin. »Eine Näherin aus Chorley. Sie trägt ein gepunktetes Kleid mit riesigen Knöpfen. Eine Frisur wie Maggie Thatcher. Eine glückliche, häusliche Frau, die nur über eines Witze machte: Sie würde gern einen Feuerlöscher erfinden.«
    »Und Elizabeth?«, fragte Anselm.
    »Sie steht in der Mitte. Ein spätes Einzelkind. Ein strahlendes Mädchen mit Rüschen und Schleifen. Wie sie einmal sagte, war es ein Alter, das ihr in jeder Hinsicht vollkommen erschien. Sie war jung genug, zu wissen, dass sie ein Kind war, und alt genug, es bewusst zu genießen.« Schwester Dorothy warf Anselm einen Seitenblick zu. »Das ist das Foto der Familie Glendinning.«
    »Wie kam der Erfinder zu seinem Vermögen?«, fragte Anselm spitzbübisch.
    »Indem er starb«, antwortete sie.
     
    Elizabeth kam zur Welt, als ihre Mutter fast fünfzig war, erzählte Schwester Dorothy. Ihr Vater war bereits Anfang sechzig. Die beiden hatten spät geheiratet und führten eine zufriedene Ehe. Sie hatten Kameradschaft gefunden, nachdem beide sich schon lange damit abgefunden hatten, dass sie den größten Teil ihres Lebens einsam verbringen würden. Elizabeth’ Geburt war eine Gnade, und unvorhergesehen. Und etwas Unvorhergesehenes traf dann auch das Kind. Ein Jahr, nachdem das Foto aufgenommen wurde, kam ihr Vater vom Dachboden herunter und schimpfte über eine Schaltvorrichtung. Er drehte das Radio an, trank ein Glas Milch, schloss die Augen und war auf der Stelle tot – als sei die Sicherung durchgebrannt. Der Arzt sagte, er habe ein schönes Alter erreicht. Er hatte es zwar nicht geschafft, dass eine Police nach ihm benannt wurde, aber er hatte eine Lebensversicherung abgeschlossen: Seine Lieben waren bestens versorgt. Ein Jahr später starb Elizabeth’ Mutter nach einer banalen Beinverletzung an einer Blutvergiftung. Auch für sie hatte ihr Vater eine, sogar noch höhere, Lebensversicherung abgeschlossen, und so hatte Elizabeth mit vierzehn zwar keine Eltern mehr, aber ein überaus gutes, treuhänderisch verwaltetes Einkommen.
    »Die Menschen sind komisch, nicht wahr«, stellte Schwester Dorothy kopfschüttelnd fest. »Elizabeth’ Vater hatte alle diese Formulare ausgefüllt, aber er hatte kein Testament gemacht. Sie hatte keinen gesetzlichen Vormund. Und es gab keine Verwandten, die es hätten machen können. Also musste das Gericht eingeschaltet werden. Letzten Endes schickte ein Richter Elizabeth zu uns.«
    Der Orden betrieb ein Internat in Carlisle (wo Schwester Dorothy Hausmutter war, schlussfolgerte Anselm). Dorthin kam Elizabeth als Schülerin, allerdings nicht ohne erhebliche Anpassungsschwierigkeiten. Das erste Jahr nach dem Tod ihrer Eltern war von Rebellion und Trauer geprägt. Sie kam oft in die Krankenstation, obwohl ihr nichts oder kaum etwas fehlte. Kopfschmerzen. Bauchschmerzen. Splitter. Aber Elizabeth fing an, mit dieser jungen Nonne zu reden, die mit ihrer Haube ständig an Schränken und Türrahmen aneckte – Schwester Dorothy konnte sich an dieses Ding nie gewöhnen.
    »Aber letzten Endes machte sie sich sehr gut«, sagte sie stolz. »Als sie an die Universität ging, gab ich ihr Die Nachfolge Christi. «
    Anselm war seltsam ratlos. Er konnte ihr nicht – wie eigentlich beabsichtigt – sagen, dass Elizabeth ein Loch in die Seiten des Buches geschnitten hatte. Mit einem Schlag war es ausgeschlossen, alles, was mit dem Prozess zu tun hatte, auch nur anzusprechen. Er

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