Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
etwas von sich verloren gegangen. Das Büro war dunkel, die Fenster verrammelt gewesen, und er hatte sich durch ihr Leben gefressen, als ob es ein Sandwich wäre. Und noch was: Seine Augen standen zu eng beieinander.
Am Anfang hatte Mr. Wyecliffe gesagt: »Was Sie mir jetzt erzählen, bleibt ganz unter uns.«
»Was soll es dann in meiner Aussage?«
Das hatte ihm eins verpasst. Er war Frauen nicht gewohnt, die einen eigenen Kopf hatten. Aber er hatte es ihr erklärt. Er war der Anwalt. Er musste alles wissen. »Stellen Sie sich einfach vor, ich würde ein Puzzle zusammensetzen, das Sie nicht sehen. Sie wundern sich, wieso ich dieses oder jenes Teil aufgreife. Denken Sie gar nicht über das große Bild nach: Überlassen Sie das mir.« Nancy nahm an, dass Anwälte deshalb so viel Geld verdienten – sie konnten Sachen sehen, die andere nicht sahen. Und dann fing Mr. Wyecliffe irgendwo an und ließ nicht mehr locker. »Ich nehme an, Ihr Mann geht ab und zu mit Freunden aus?«
»Nie. Er bleibt zu Hause.«
»Immer?«
»Na ja, außer bei der Arbeit und so …«
»Jeden Abend?«
»Ja, außer, wenn er Überstunden macht.«
»Bekommen Sie schon mal unerwartet Anrufe von einem fremden Mann?«
»Natürlich nicht.« Sie verschränkte die Arme fest vor der Brust. »Warum sollte ich?«
»Der mit Ihrem Mann sprechen möchte?«
»Nein.«
»Ruft Mr. Riley jemanden an, den Sie nicht kennen?«
»Wir sind Mann und Frau.« Nancy war eher nervös als verärgert, weil die Fragen wie Seitenhiebe waren, aber diese gab sie stolz zurück. Sie waren Mann und Frau. Bis dass der Tod euch scheidet. In guten wie in schlechten Zeiten.
»Heißt das nein?«
»Ja.«
Mr. Wyecliffe nickte, wie Onkel Bertie es tat, wenn er die Wettquoten bei Ladbrokes nachgeschaut hatte. »Wie ich erwartet habe.« Er kaute auf einem Stift und grinste Nancy mit seinen zu tief liegenden Augen an. Kein Wort hatte er aufgeschrieben. »Ihr Mann macht also häufig Überstunden?«
»Er arbeitet für seinen Lebensunterhalt, ja.«
»Ach ja. Diese Überstunden. Sind sie immer an den gleichen Tagen?«
»Jetzt nicht mehr, wo’s mit dem Hafen bergab geht.«
»Natürlich. Aber kommt es oft vor?«
»Wir hören dann schon, ob und wann. Mr. Lawton hat Glück gehabt, also ja, es gibt immer viel zu tun. Der Chef muss die Nase vorn haben. Und mein Mann ist immer da, bereit, auszuhelfen. Er ist einer der besten Arbeiter. Hat noch keine Schicht gefehlt.«
»Das bezweifle ich nicht. Gibt es Geld bar auf die Hand?«
Nancy spürte, dass sie drohte, rot zu werden. »Nein.«
Mr. Wyecliffe drehte den Bleistift und biss ins Holz. »Kassieren Sie die Miete mit ihm?«
»Warum sollte ich?«
»Haben Sie die Mieter je getroffen?«
»Nein.«
Wieder schaute der Anwalt wie Onkel Bertie über der Racing Post. »Sehr vernünftig. Mögen sie in Frieden ruhen.«
»Genau.«
Nancy hätte gern eine Verschnaufpause gehabt, aber Mr. Wyecliffe hatte sie in der Falle. »Wie oft geht Ihr Mann in sein Mietshaus?«
»Also, das weiß ich nicht, ein oder zwei Mal in der Woche, wenn was zu tun ist. Er macht alles selbst, das hält die Kosten niedrig.«
»Sehr vernünftig. Versuchen wir es mit ein paar Namen.«
Nancy meinte, ersticken zu müssen, wenn er so weitermachte.
»David?«
»Nein.«
»George?«
»Nein.«
»Bradshaw?«
»Nein.«
Mr. Wyecliffe schaute den Bleistift an wie ein Filmstar seine Zigarre, und Nancy sah, dass die Mine abgebrochen war. Er fing an, auf dem trockenen Ende herumzukauen. »Hat Mr. Riley Schulden?«
»Absolut nicht.«
»Warum dann die Überstunden?«
»Wir hätten gern ein Haus wie Ihres.«
»Ein nobles Ziel, das allerdings erhebliche Enttäuschungen mit sich bringen würde.«
Plötzlich stand der kleine Mann auf und öffnete die Tür. Er kam zurück und legte ihr seine plumpe kleine Hand auf die Schulter. »Entschuldigen Sie, aber das Lüftungssystem ist ein bisschen primitiv.« Er schaute sie merkwürdig an, als ob er wieder Hunger hätte. »Noch ein Name, gewissermaßen.«
Nancy schloss die Augen. Leise fragte er: »Haben Sie schon mal etwas vom Pieman gehört?«
Nancy hielt sich mit beiden Händen den Kopf, als könnte er auseinanderfallen. »Noch nie.«
»Hat Mr. Riley Angst?«
Angst? Was für eine Frage. Ihr Mann hatte vor niemandem Angst. Eine Hitzewelle jagte ihr über Brust, Gesicht und Kopf- das waren die Wechseljahre, die ihr sagten, dass sie nie ein Kind bekommen würde, dass es zu spät war. Das hatte der Doktor gesagt. Selbst
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