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Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Titel: Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Brodrick
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ungewöhnliche Geschichte eines Mannes erzählen, dessen Abkehr ihn dahin zurückgebracht hatte, wo er aufgebrochen war: die Geschichte eines Mannes, der schließlich wieder nach Hause gefunden hatte.

9
    »DU KANNST ALLES hinter dir lassen«, sagte der Major, »aber es wird dich mehr kosten, als du schon jetzt bezahlt hast«. Er war aus eigenem Antrieb ins Gericht gekommen, zumindest hatte es so ausgesehen. Er trug seine Mütze wie zu einer Parade. Zum ersten Mal fiel Riley auf, dass der alte Anzugstoff glänzte und die Revers ausgefranst waren. Der Prozess sollte gleich anfangen. Die Zeugen saßen bereits. Die Prozessanwälte waren schon ganz in Schwarz. Der Major hatte ihn in ein winziges Besprechungszimmer gezogen. Seine Schuld stand für ihn von vornherein fest, was die Luft reinigte wie Desinfektionsmittel.
    Riley gab sich aalglatt. »Warum sollte ich?«
    »Für dich selbst«, sagte er, als ob das etwas Lohnendes sei. »Und damit du aufhören kannst, allen um dich herum wehzutun.«
    Riley warf einen Blick über die Schulter. Das Besprechungszimmer hatte große Milchglasscheiben vom Boden bis zur Decke. Auf der anderen Seite sah er Wyecliffe. Er sah aus, als ob er betete.
    »Du kannst immer noch umkehren«, drängte der Major flehentlich. »Alles andere ist eine Illusion. Wenn du es tust, helfe ich dir. Ich bezweifle, ob sonst jemand dazu bereit ist.«
    Riley lachte, dass es ihm selbst peinlich war, weil seine Stimme quiekte. Er sah, wie der Mund des Majors sich verhärtete; die rote Delle vom Mundstück des Kornetts verblasste und verschwand. Er sagte: »Damals hätte ich Rettung gebraucht, jetzt nicht.«
    Das hatte einen Nerv treffen sollen, funktionierte aber nicht. Der Major war mehr in Fahrt, als Riley gedacht hatte.
    »Wir brauchen jederzeit Rettung«, sagte er. »Hör einfach auf wegzulaufen.«
    Riley schreckte mehr vor dem widerlichen Mitgefühl zurück als vor dem Vorschlag. »Das hab ich. Und ich bin umgekehrt. Jetzt bin ich derjenige, der jagt.«
    Das saß. Den Abscheu des Majors zu sehen erregte ihn. Aber der Mann in Uniform gab noch nicht auf – Riley sah es an seinen Augen –, er suchte nach entlastenden Motiven, was Wyecliffe als »mildernde Umstände« bezeichnete, warum Riley getan hatte, was er getan hatte. Und Riley dachte, es gab keine. Aber der Major wollte nichts davon wissen. Er weigerte sich zu glauben, dass jemand von Grund auf schlecht sein konnte – dass jemand es sogar wollen konnte. Aber wer sollte sonst schuld sein? Rileys Mutter? Walter? Riley stand jedes Mitleid, das seine Identität schluckte, bis zum Hals. Diese Nachsicht war der reinste Raub. Dieser Familienkram ließe sich natürlich bei Gericht zu seinem Vorteil ausschlachten, wenn er sich nur schuldig bekennen und zu Kreuze kriechen würde. Aber Schluss damit – Riley spürte brennenden Stolz, der sich durch irgendeinen Kanal in seinen Eingeweiden fraß –, ich habe Selbstachtung. Ich bin ich, und was ich bin, habe ich nur mir zu verdanken. Er wurde sauer. Das war das Einzige, was niemand antasten oder ihm nehmen konnte: der Kern, der ungenießbare Teil. Eine bittere Frucht war aus seinen schmutzigen Entscheidungen gewachsen. Niemand – und er meinte wirklich niemand – würde das auf seine Mutter schieben.
    »Wenn du dich schuldig bekennst, könnte ich einiges zu deinen Gunsten sagen«, erklärte der Major.
    Riley dachte an die erste Begegnung. Damals hatte das Mitleid des Majors Riley in Panik versetzt. Was war passiert? Heute spürte er gar nichts. Er registrierte lediglich die Hoffnungen und Absichten des Mannes. Allem Anschein nach war er gekommen, um Riley ein Geständnis abzuringen, sicher von Wyecliffe angestiftet, der draußen stand und auf den Nägeln kaute. Aber der Major hatte seine eigenen Beweggründe. Er hatte seinen festen Gottesglauben daran, wie alles zu sein hatte und wie es sich noch wenden könnte. Riley stand auf und beendete das Gespräch. Mit distanziertem, gottlosem Mitleid schaute er von oben herab. Der alte Soldat hörte offenbar nicht auf das, was er selbst predigte: Man konnte einen Menschen nicht gegen seinen Willen retten.
    Riley ging aus dem winzigen Besprechungszimmer und sah den Major nie wieder. Wenige Minuten später war er auf der Anklagebank. Erst als er, flankiert von Wachen, dort saß, wurde ihm klar, dass er wieder eine Entscheidung gefällt hatte; dass er sich immer noch hätte ergeben können, ohne jemand anderem als sich selbst die Schuld zuzuschieben. Es war wieder ein

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