Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
echtes Interesse an der Antwort. Sie war nicht wichtig für sie. Wenn es ein Buch über die Geheimnisse des Graham Riley gegeben hätte, sie hätte es nicht gekauft. Der Inhalt hätte nichts damit zu tun gehabt, warum sie ihn liebte.
Und warum liebte sie ihn? Auf solche Fragen gab es keine Antworten. Hätte es eine Liste von »Gründen« gegeben, Rileys Verhalten hätte sie schon vor Jahren hinfällig werden lassen. Listen waren etwas für Leute wie Mr. Wyecliffe. Letzten Endes ließ sich durch nichts erklären, wieso die ständigen Prüfungen, denen er Nancys Liebe aussetzte, ihm ihr Herz nur weiter öffneten, statt es zu verschließen. Es war ganz einfach: Sie liebte das, was sie sah. Babycham hatte sie nicht verstehen können – und das hatte sie auch gesagt (sie hatte nie ein Blatt vor den Mund genommen). Als sie an einem Freitagabend bei einem ihrer letzten Treffen als Grüppchen im Admiral saßen, hatte Nancy nach den richtigen Worten gesucht und mit ihrem Glas herumgespielt. Sie war rot geworden, und ein Spielautomat hatte Pling gemacht. Schließlich hatte sie gesagt, um Riley so zu sehen wie Nancy, müsste man ihn eben mit ihren Augen sehen.
13
ANSELM GING zu Fuß von Hoxton nach Shoreditch zu einem Hochhaus, dessen Gewirr erleuchteter Fenster sich wie Braille-Schrift gegen den Nachthimmel abhob. Hier und da baumelte Wäsche auf einem Balkon. Die Aufzüge waren außer Betrieb, also trottete Anselm vorsichtig die Betontreppe hinauf, vorbei an Liebes- und Hassgeständnissen, und war überzeugt, dass der ganze feuchte Kasten im Boden versank.
Mrs. Dixon lauerte über eine Türkette hinweg. Sie war gebeugt und blinzelte argwöhnisch durch große Brillengläser.
»Sind Sie von der Stadt?«
»Nein«, antwortete Anselm freundlich. »Ich bin ein Freund von Mrs. Glendinning.«
Die Tür schloss sich, der Riegel klapperte und glitt zurück. Als sie wieder aufging, setzte sie den süßsäuerlichen Geruch von Essen auf Rädern frei.
»Wann kommt sie wieder?«, fragte Mrs. Dixon besorgt.
»Ich habe sie vermisst … Die Geschichten, den Kuchen und alles …«
Mrs. Dixon sank in einen Sessel neben einem überfüllten Couchtisch. In der Mitte stand ein Essteller mit Soßenresten. Ihre Knopfnase und rosige Wangen erinnerten an eine Stoffpuppe. Ihr lockiges Haar hatte einen leichten Blauschimmer.
Anselm sagte: »Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass Mrs. Glendinning nicht mehr kommt. Es tut mir sehr leid.«
Mrs. Dixon richtete Messer und Gabel gerade aus. »Ist sie tot?«
»Ja.«
»Ihr Herz?«
»Ja.«
Anselm saß auf einem Korbschemel. Vergeblich versuchte er, sich vertrauliche Gespräche vorzustellen. Er schaute sich um und bemerkte, dass es keine Bilder, keine Uhr und keine Postkarten auf dem Kaminsims gab. Neben dem Tisch stand ein Sofa von einer unvollständigen Couchgarnitur. Da musste Elizabeth gesessen und erzählt haben, was der Arzt gesagt hatte, bevor sie zu Gin mit allem Drum und Dran nach Hause zu Charles und Nicholas ging.
Er war zwar halb französischer Abstammung, aber in Momenten starker Gefühlsregungen setzte sich der englische Teil in Anselm mit Macht durch. »Kann ich Ihnen eine Tasse Tee machen?«, fragte er herzlich.
Mrs. Dixon schüttelte den Kopf. Ihr Mund arbeitete, und sie rückte einen Salzstreuer, einen Serviettenring und eine Untertasse zurecht. »Sie war meine Freundin, wissen Sie.«
Ihr Gericht verzog sich vor Bewegung, als wolle sie etwas sagen. Schließlich platzte sie heraus: »Ich war so lange hier ganz allein, und dann kam sie aus dem Nichts.«
»Wann haben Sie sie zum ersten Mal getroffen?«, erkundigte er sich einfallsreich.
»Vor knapp einem Jahr«, antwortete sie und kramte ein Taschentuch aus ihrem Ärmel. »Wissen Sie, ich hab der Stadt immer wieder in den Ohren gelegen, dass ich allein bin. Aber ich hatte das Gefühl, sie schon mein Leben lang zu kennen.«
Fieberhaft fragte sie: »Wissen Sie, was ich meine?«
»Ja.« Er schaute zu Mrs. Dixon hinüber, die entrückt mit fest geschlossenen Augen und Taschentuch vor dem Mund hinter ihrem Tisch saß. Sie ließ die Hand sinken, ihre Lippe zuckte. Sie hustete. »Hat Elizabeth von mir erzählt?«
»Nein«, gab Anselm zu. »Sie hat mich nur gebeten, herzukommen, falls sie sterben sollte.«
»Sonst nichts?«
Eines ihrer Beine wippte auf den Zehen. Anselm beobachtete es stirnrunzelnd.
»Hat sie nichts … über meinen Jungen gesagt?« Sie fixierte ihn.
»Über wen?«, fragte Anselm freundlich.
»Meinen
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