Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
Kopf ruckte, als bekäme er in Abständen Elektroschocks. »Wer weiß noch, dass Sie mich angerufen haben?«, fragte Riley.
»Niemand.«
»Werden sie es herausfinden?«
»Nein. Versprochen.«
Wesentlich später kam Riley zu dem Schluss, dass manche großen Entscheidungen nicht so einfach sind, wie sie scheinen mögen. Wie eine Mauer muss man sie von unten aufbauen. Man steht auf der obersten Lage, legt Stein auf Stein und wagt nicht, sich anzuschauen, wo man enden wird, wenn man weitermacht. Letztlich ist man zu hoch und kann nicht mehr herunter. Aber von Anfang an war immer eine Art Wissen dabei; tollkühn hat man es in handliche Stücke aufgeteilt und zusammengesetzt.
Ohne eine eigentliche Entscheidung getroffen zu haben, sagte er daher unverantwortlich: »Ich muss drüber nachdenken. Rufen Sie mich in sechs Monaten wieder an.«
Am nächsten Tag ging er aus einem Impuls heraus zu Lawtons Häusern. Alles war verkauft oder abgerissen. Der ganze Laden bröckelte in den dunkelblauen Fluss. Als er auf dem gerissenen Sockel stand, der früher seinen Kran getragen hatte, suchte er plötzlich bewegt im fahlen Abendhimmel nach Nancys Fenster.
Was sollte er mit Bradshaws Sohn machen? Er schaute über die Kaianlagen und dachte mit einem Anflug von Sentimentalität an jene Zeiten zurück, die er nie richtig genossen hatte. Sein Blick fiel auf das Warnschild »Todesgefahr« an einem Stacheldrahtzaun, der den Zugang zum Hauptkai versperrte. Ein Stück dahinter bemerkte er eine Reihe Plastikpolier. Die Holzbohlen auf der anderen Seite waren schwarz und grün.
In den nächsten sechs Monaten kam Riley vier Mal erst spät nach Hause und sagte Nancy, sein Transporter sei liegen geblieben. Er beklagte sich lautstark darüber bei Prosser und den anderen. Er kaufte Ersatzteile, bewahrte die Quittungen auf und machte zum Schein eine unnötige Reparatur. Er arbeitete sich immer höher hinauf, ohne je den Blick davon abzuwenden, was seine Hände und Füße machten.
Arnolds Laufrad raste und ratterte.
Riley hatte gehofft, Georges Junge würde die Sache fallen lassen, aber er rief, wie vereinbart, wieder an. Riley hatte wackelige Knie, behielt aber die Nerven und sagte: »Wir treffen uns am Samstagabend am Lawtons Kai.«
Wieso ausgerechnet da? Es lag nicht nur daran, dass es ein abgelegener, gefährlicher Ort war. Riley hatte nicht darüber nachgedacht, aber instinktiv wollte er auf der Welt der verpatzten Chancen herumtrampeln und sie ein für alle Mal vernichten. Entsprechend ging er in kleinen Schritten vor: Um sechs Uhr verließ er, über den Regen fluchend, einen Trödelmarkt in Barking. Eine halbe Stunde später rief er Nancy an und sagte ihr, dass er eine Panne mit dem Transporter hätte. Um sieben durchschnitt er den Stacheldraht. Um zehn nach sieben machte er sich an die Poller. (Sie waren mit Beton gefüllt, also schleifte er sie einen nach dem anderen an die Kante der Kaimauer und kippte sie in den Fluss.) Da die Holzplanken morsch waren, kroch Riley auf einem Träger entlang und war um halb acht am Ende der Plattform. Um acht tauchte eine Gestalt auf.
Riley schaute den Jungen kein einziges Mal direkt an. Er hielt den Blick gesenkt und fing ein sinnloses Gespräch an, weil er schon viel zu weit abgehoben hatte, um richtig zuzuhören.
»Ich will nur meinen Vater reinwaschen«, sagte John Bradshaw. Der Landregen prasselte auf ihre Schultern.
»Reinwaschen.« Was für ein erschreckend großes Wort. Der Junge würde nie aufgeben.
Sicher, Angst spielte eine Rolle – nicht die Angst, die Riley in seiner Kindheit gepackt hatte, aber doch etwas Körperliches, das er ständig spüren konnte, wenn er darauf achtete (wie ein unregelmäßiger Herzschlag). Tintenschwarz floss sie in seine Absichten ein – er stieß mit aller Kraft zu … und hoffte und bangte gleichzeitig, dass es passieren würde; dass er sich hinterher damit trösten könnte, es eigentlich nicht gewollt zu haben.
Die Bohlen zersplitterten. Ein Teil der Planken brach weg, und plötzlich war Riley allein. Es gab einen Schrei, aber nach dem Platschen keinen Laut mehr … nichts … nur das Plätschern des Flusses und das Prasseln des Regens.
Riley wartete eine halbe Stunde und suchte die Kaimauer ab. Dann fuhr er nach Hause und schlug Nancy beim Domino.
Am nächsten Morgen fuhr er, wie immer, zur Arbeit. Wochen vergingen, und er machte, was er immer tat. Aber ebenso wie Arnolds Schnurrbart jedes Mal nass wurde, wenn er Milch schleckte, ging mit einem
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