Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
Mord immer auch eine Art Selbstmord einher. Als Riley dem Major gegenüber gesessen hatte, hatte er erbitterten Stolz über seine selbst geschaffene Persönlichkeit empfunden. Er hatte keine mildernden Umstände für sich in Anspruch nehmen wollen. Er hatte keine Rettung im Diesseits gewollt, und das Jenseits war ihm egal. Aber mit dem Tod John Bradshaws verlor sich diese Großspurigkeit. Er selbst und die ganze Welt machte ihn seltsam krank, wie er es bis dahin nie gekannt hatte. Er versuchte daran zu zweifeln, dass er ihn gestoßen hatte. Manche großen Entscheidungen mochten sich aus vielen kleinen zusammensetzen, aber Riley kam einfach nicht dahinter, wieso er sich in einer anderen Welt von Anfang gar nicht erst für dieses Endergebnis entschieden hätte. Und warum er in dieser Welt davor zurückschreckte? Mit dieser Einsicht taumelte Riley auf einen Abgrund des Selbstmitleids zu, denn er fragte sich, ob er aus freien Stücken gehandelt hatte, ob er jemals frei gewesen war und sein würde. Innerhalb einiger Monate begann Riley nach Jahren, in denen er sauber geblieben war, mit seinem neuen Projekt.
Und dann kam aus dem Nichts ein Umschlag mit einem Foto. Das Bild versetzte Riley schlagartig in Zeiten zurück, die er nach Kräften zu vergessen versucht hatte. Er war überwältigt von seiner Ohnmacht, das Gesicht auszulöschen oder den, der es geschickt hatte, an seinem Tun zu hindern. Wie gestrandet verspürte er ein Bedürfnis nach Nancy, das weit stärker war als alles, was er seit dem Prozess erlebt hatte. Es war unglaublich, aber wahr: Ihm stand ein Hamster im Weg. Es war entwürdigend.
Das Laufrad verstummte. Arnold war eine Ewigkeit gerannt. Als Mensch auf einer Straße hätte er inzwischen das andere Ende der Stadt erreicht.
Riley ging in die Küche, biss in einen Apfel und warf ihn in eine Plastiktüte. Immer noch kauend, öffnete er den Käfig und warf Arnold zu dem Apfel. Anschließend schlug er den Weg zum Limehouse Cut ein. Die Mülltonnen waren herausgestellt. Ein paar weiße Styroporflocken schlitterten hüpfend im Dunkeln über den Asphalt. Er schlenkerte mit der Tasche an seinem Hosenbein vorbei wie ein Junge mit Süßigkeiten aus dem Eckladen – klebrigem Zeug aus großen Gläsern, die Mrs. O’Neill ihm hinhielt. Sie war immer nett zu ihm gewesen – aber voller Mitleid, das alles ahnte und ihn bis auf die blauen Flecken auszog. »Er hat seine Launen«, hatte seine Mutter über Walter gesagt. Launen. Das klang nach irgendeinem Zeug, das Babycham mit Limonade und einer Kirsche bestellt haben könnte. »Mach dir keine Gedanken, Junge«, hatte seine Mutter einmal gesagt und sich ihre aufgeplatzte Lippe abgewischt, als hätte sie gerade Fisch mit Chips gegessen. »Du bist vom Rad gefallen, in Ordnung?«
Ihre Augen waren schon vor langer Zeit ausgetrocknet wie eine Wüste.
Als Riley an den Kanal kam, blieb er stehen. Die Tüte schlenkerte an seinem Bein. Widerstrebend begann er nachzudenken. In gewisser Weise gehörten Walter, John Bradshaw und Arnold zusammen. Jeder von ihnen war auf seine Weise wesentlich stärker als er. Und mit diesem furchtbaren Gedanken ließ er los.
18
GEORGE HATTE ERWARTET, dass ihn das Gewicht seiner nassen Kleider schnell unter Wasser ziehen würde, aber er trieb weiter an der Oberfläche. Etwas zwischen Schwimmen und Wassertreten brachte ihn von der Leiter fort. Er spürte eine kältere Strömung an den Füßen; kabbelige Wellen ließen ihn ausspucken. Er trieb hinaus in die Strömung des Flusses. Die letzten Stützpfeiler ragten aus den Schatten auf, dann war der Plankensteg am Kai abrupt zu Ende. George drehte sich ins Wasser.
Soweit George diesen Augenblick überhaupt geplant hatte, hatte er seine letzten Gedanken John widmen wollen. Zu seiner Verwunderung fand er sich auf den Spuren seiner eigenen Kindheit wieder und lief einen gewundenen Weg hinter einer städtischen Reihenhaussiedlung in Harrogate entlang. Die Sonne schien; der Boden unter seinen Füßen war trocken und voller Riefen. Rechts von ihm waren Zäune und kleine Gärten mit Schuppen … weiß gerahmte Fenster in roten Backsteinmauern … Eine helle Katze lag ausgestreckt auf warmem Schiefer; links von ihm versperrten Baumstämme und Äste die Sicht auf einen Tennisplatz mit hellrotem Schotter … danach kam ein Bowls-Rasen … eine samtige Bühne für weiß gekleidete Männer mit Glatze oder großer Kappe … Er hüpfte und hopste vor schierer Lebensfreude und spürte sein Herz vor Anstrengung
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