Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
dicken Beine, um seine Zehen zu wärmen. In Wirklichkeit versuchte er herauszufinden, was sich gerade vor seinen Augen abgespielt hatte … genau wie Riley morgens mit einem flauen Gefühl im Magen versucht hatte, Nancy zu begreifen.
3
»FÜHRE NICHT UNNÜTZ weise Worte im Munde«, zitierte Pater Andrew.
Anselm hatte in Larkwood angerufen, um dem Prior ein Fax anzukündigen, das Cyril sich anschauen sollte – zugegeben, diese Wendung kam unerwartet, aber es war schließlich wichtig, dass man einen Menschen nicht nach seiner Vergangenheit beurteilte. Als Anselm im Hintergrund eine Glocke bimmeln hörte, schüttete er dem Prior in einem Anflug von Heimweh sein Herz aus: Er wusste nicht, was er George Bradshaw sagen sollte; er litt unter einem Anflug von Schuldgefühlen. Und damit hatte er das altbekannte Zitat des Wüstenvaters provoziert.
Anselm legte den Hörer auf. Nachdenklich murmelte er den Satz vor sich hin, während er auf die Krankenstation zurückging. Dort sagte ihm die Krankenschwester, dass George Bradshaw nicht nur wach war, sondern in einem Sessel saß und darauf brannte, ihn zu sehen.
Anselm blieb in der Tür stehen. Blechern drang aus einem Radio Bunny Berigans I Can’t Get Started. Die Trompete schraubte sich in die Höhe, während Anselm die bandagierten Füße und geschwollenen Beine musterte. Bun fasste es in Worte:
I’ve flown around the world in a plane,
I’ve settled revolutions in Spain,
The North Pole I have charted,
But still I can’t get started with you.
Anselm dachte an Emily Bradshaw in Mitcham und betrat das Krankenzimmer.
George hatte dirigiert, aber er stand sofort auf. Seine Handgelenke zitterten auf den Armlehnen, als er sich abstützte.
»Elizabeth hat gesagt, dass Sie kommen würden«, rief er mit ausgestreckter Hand. »Das Komische ist nur …«, er lachte in sich hinein über den Witz, den er gleich erzählen würde, »ich kann mich nicht mehr erinnern, warum.«
Anselm lächelte schmallippig und wand sich unter dem Händedruck des Alten. Er murmelte, es sei schön, ihn zu sehen, setzte sich auf die Bettkante und überlegte immer noch, wie er es anfangen sollte, das zu sagen, was gesagt werden musste. Er konnte George ebenso wenig ansehen, wie Mr. Hillsden Anselm hatte in die Augen sehen können. Eines verband sie jedoch, denn beide lauschten wie gebannt Bunny Berigans Trompetensolo.
»Selbst Louis Armstrong hat sich an diese Nummer nicht herangetraut«, stellte Anselm fest, als das Lied zu Ende war. Es war zwar keine weise Bemerkung, aber immerhin war sie nicht unnütz.
George gab Anselm einen freundschaftlichen Schubs, als seien sie Kumpels, die bei einem Glas Bier zusammensäßen.
»Heutzutage kann ich mir nicht mehr aussuchen, woran ich mich erinnere«, sagte er. »Wenn wir uns morgen wieder treffen, erwarten Sie ja nicht, dass Sie da anknüpfen können, wo Sie aufgehört haben. Sie müssen wieder ganz von vorn anfangen. Ich fürchte, bei mir müssen Sie immer ganz von vorn anfangen … Das ist nicht so schlimm, oder?«
Anselm hob den Blick, da ihm plötzlich klar wurde, dass er eine Art von Vergebung gefunden hatte. Georges Gedanken zeichneten sich in seinem Gesicht ab, als könnte man ihn verstehen, wenn man ihn nur ansah. Es waren keine Barrieren mehr da: Die Oberfläche war zugleich auch die Tiefe. Anselm starrte George an, schaute direkt in ihn hinein, und da war keine Wut, kein Groll, kein Stolz, nur etwas Strahlendes, was vielleicht am grellen Licht lag … vielleicht aber auch nicht. Er rang um Selbstvertrauen und sagte: »Mr. Bradshaw, wegen des Prozesses, ich habe Ihnen eine ganz bestimmte Frage gestellt …«
George hob eine Hand. »Mich quält nichts mehr, woran ich mich erinnern kann«, sagte er schlicht. »Ich habe es fallen lassen … wie einen Stein in die Themse.« Er tätschelte Anselms Arm als Zeichen, das dieses Thema abgeschlossen war.
Anselm war verwirrt, denn dieser gebrochene Mann sprach eine Sprache, der er kaum zu folgen vermochte (ein ähnliches Problem hatte er einmal mit einem Verkehrspolizisten in der Tschechoslowakei gehabt). Einerseits hatte er ihm sofort und umfassend verziehen, andererseits entsprang die Vergebung einer Abgeklärtheit, der Anselm noch nie zuvor begegnet war, außer bei einigen alten Mönchen in Larkwood. Anselm blieb jedoch keine Zeit, über diese Rätsel nachzudenken, denn George sprach schon weiter.
»Wir waren hinter Riley her, und ich habe den Krempel besorgt, wie Elizabeth es mir gesagt
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