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Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Titel: Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Albrecht
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Evolutionsbiologe Charles Darwin, dass die Mimik nicht nur Ausdruck unserer Emotionen ist, sondern es auch umgekehrt sein könnte: dass unser Gefühlsleben von der Mimik beeinflusst wird. Dafür gibt es heute hinreichend Belege. Die wissenschaftlich gut untersuchte Facial-Feedback-Hypothese besagt, auf den Punkt gebracht: »Ich lächle, also bin ich fröhlich.« Was genau im Gehirn passiert, wenn wir lächeln, ist noch nicht erforscht, gemäß einer schlüssigen Theorie ist die Erfahrung der Gesichtsmuskelaktivierung mit der Erfahrung der zugehörigen Emotion über Nervenwege eng verknüpft.

    Im Mädchenheim von Eski Ş ehir war Gül tagsüber damit beschäftigt, sich die Anerkennung der anderen Mädchen zu erkämpfen, die alle im Alter zwischen zwölf und 18 waren. Sie war eine der Unangepassten. Die Betreuerinnen malträtierten Gül mit Schlägen und Fußtritten, wenn sie wieder eine der vielen Regeln übertreten hatte, danach wurde sie für viele Stunden in das Bügelzimmer im Keller eingeschlossen.
    Nachts kroch das kalte Gefühl der Verlassenheit in sie. Oft weinte sie stundenlang unter der Bettdecke. Jeden Sonntag rief Mama aus Neuss an, von der sie jetzt wusste, dass sie nur eine Tante war. Es war ihr einziger Kontakt zur Familie. Einmal büchste sie mit ein paar Freundinnen aus, sie wollten zusammen nach Deutschland laufen, doch noch in der Stadt griffen Polizisten sie auf und brachten sie zurück. Die Strafe war furchtbar.

    Den roten Fleck am rechten Auge entdeckte Gül eines Morgens im Sommer 1989 im Etagenbad. Der Wasserdampf aus den Duschen hüllte sie ein und beschlug die Spiegel, sie sah wenig und hielt den Fleck für einen Pickel. Viele ihrer Mitbewohnerinnen litten unter Akne. So beachtete sie die Hauterscheinung einige Wochen lang nicht weiter. Doch der Fleck vergrößerte sich, begann zu jucken und zu nässen, wuchs über die Stirn auf die linke Gesichtshälfte, befiel dort die Augenlider und breitete sich über den linken Wangenknochen aus.
»(…) Entsteht aber auf der Glatze des Hinterkopfes oder über der Stirn ein hellroter Fleck (…), so ist der Mensch aussätzig; er ist unrein. Der Priester muss ihn für unrein erklären; er ist an seinem Kopf vom Aussatz befallen.
Der Aussätzige (…) soll eingerissene Kleider tragen und das Kopfhaar ungepflegt lassen; er soll den Schnurrbart verhüllen und ausrufen: Unrein! Unrein!
Solange das Übel besteht, bleibt er unrein; er ist unrein. Er soll abgesondert wohnen, außerhalb des Lagers soll er sich aufhalten.«
(3. Buch Mose, 42–46)
    In der Antike wurden Menschen mit verstümmelnden Erkrankungen von der Gemeinschaft ausgestoßen. Gefürchtet war vor allem die Lepra. Das medizinische Wissen war jedoch noch zu gering, um diese bakterielle Infektion von anderen schweren Hauterkrankungen zu unterscheiden.
    Im Mittelalter nannte man die Lepra »Aussatz«. Die Kranken wurden buchstäblich »ausgesetzt« und fristeten ihr Dasein in Leprosorien. Die Menschen, die sie dort pflegten, steckten sich nur sehr selten selbst an. Sie standen im Ansehen, von Gott beschützt zu werden. Erst viel später setzte sich die Erkenntnis durch, dass Lepra wenig infektiös ist.
    Heute können die Menschen besser unterscheiden, welche Krankheiten wirklich gefährlich sind. Das Feuermal zum Beispiel, eine angeborene Hautveränderung von rötlicher oder violetter Farbe, die häufig im Gesicht auftritt, wird zumeist als wenig bedrohlich erkannt.
    So auch von jenen 98 Versuchsteilnehmer in Sydney, Australien. Psychologen unternahmen an ihnen ein Experiment, um herauszufinden, ob die Angst vor Ansteckung unterbewusst auch dann wirksam ist, wenn der Verstand dagegen spricht. Die Versuchsteilnehmer sollten sich drei Videos anschauen, in denen Schauspieler auftraten. Der Erste schien äußerlich gesund, der zweite mimte einen grippalen Infekt, der dritte trug ein geschminktes Feuermal auf der Wange. Die drei hantierten mit Schnorchel, Handtuch und Mundharmonika, am Ende der Filmsequenz steckten sie die Gegenstände in den Mund. Im Anschluss sollten die 98 Probanden die Handlungen der Schauspieler imitieren – mit ebenjenen drei Gegenständen. Die Forscher notierten, wie oft sie dabei Ekelverhalten zeigten, das Gesicht verzogen, die Gegenstände zuvor abwischten oder den Versuch abbrachen. Das Ergebnis: Sie verhielten sich gleichermaßen vorsichtig im Umgang mit dem Gegenstand des Feuermalträgers wie mit demjenigen, den zuvor der vermeintlich Grippekranke berührt hatte –

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