Patient Null
Koran das Ihre tat, um ihm ein Lebensziel zu geben. Seine Liebe für eine Frau namens Amirah gab ihm zudem eine Aufgabe und hatte ihn aller Wahrscheinlichkeit nach verrückt werden lassen. Doch laut dem Gutachten, das Sebastian Gault über El Mudschahid anfertigen ließ, hatte der Kämpfer bereits nicht mehr alle Tassen im Schrank gehabt, ehe ihm diese Frau die letzte Gehirnzelle aus dem Kopf gevögelt hatte.
Sebastian Gault musste lachen. Sex und seine verlockenden Verheißungen hatten seiner Meinung nach mehr Königreiche errichten und wieder untergehen lassen, mehr Kriege ausgelöst und mehr Menschen vernichtet als alle politischen Ideologien und religiösen Gründe zusammen. Was Amirah betraf, so konnte Gault den brutalen El Mudschahid durchaus verstehen. Diese Frau war eine erotische Sexgöttin von historischer Dimension. Eine wahre Guinevere. Sie konnte Männer dazu bringen, die größten Heldentaten zu begehen, großartige Reiche zu erschaffen, aber auch gleichzeitig deren Herrscher an den Rand des Wahnsinns treiben.
Gault goss sich ein Glas Wasser ein und machte es sich auf seinem Stuhl bequem. Es war ein abgewetzter Campingstuhl aus Plastik, der neben einem verrosteten Tisch aus Metall in einem Zelt aus Leinwand stand, wo es nach Kameldung, Benzin und Schwarzpulver stank. Hinzu kam ein Hauch von Blut. Dieser Geruch war das Parfüm des Fanatismus, das Gault schon viele Hundert Male während der letzten fünfundzwanzig Jahre gerochen hatte. Für ihn war es auch der Geruch von Geld. Und Geld – da war er
sich sicher – war die einzige Macht im ganzen Universum, die es mit Sex aufnehmen konnte.
Gault lehnte sich zurück. Er nahm einen Schluck Wasser und beobachtete El Mudschahid durch einen Spalt in der Leinwand. Der Kämpfer stand direkt vor dem Zelt und orderte seine Männer umher. Selbst größere und stärkere als er schienen in seiner Gegenwart zu schrumpfen. Ihre Wattzahl reduzierte sich zu der einer Sparglühlampe, während sein Licht hell wie die Sonne über allem aufstrahlte. Sobald er sie jedoch losschickte, um diese oder jene Gräueltat zu begehen, wuchsen sie zu Giganten. Mit ihrer Hilfe verbreitete El Mudschahid einer gottesgewaltigen Macht gleich auf der ganzen Welt Terror und Schrecken.
Sebastian Gault war überzeugt, dass der Mann seinen Namen verdiente. Es war ein Name, der auch als nom de guerre oder Tarnung hätte dienen können, es aber nicht tat. Vielmehr schienen die ärmlichen Eltern gewusst zu haben – zwei ungebildete Kleinbauern aus irgendeiner gottverlassenen Ecke des Jemen, die nicht einmal lesen konnten -, dass ihr einziges Kind eines Tages zu einem bedeutenden Krieger heranwachsen würde. Und zwar nicht nur zu einem Soldaten Allahs, sondern zu einem General. Es war ein mächtiger Name für ein Kind, doch als der Junge zu einem Mann heranwuchs, füllte er problemlos die mächtigen Stiefel, die ihm dieser Name bot. Er war von keiner militanten Fundamentalistengruppe angeheuert worden. Nein, er war vielmehr so fanatisch, dass er sie selbst aufgesucht hatte.
Im Alter von dreizehn Jahren stand El Mudschahids Name bereits auf den Listen von über vierzig Nationen und war einer der zehn meistgesuchten Verbrecher der Vereinigten Staaten von Amerika. Er hatte Verbindungen zu al-Qaida und einem Dutzend weiterer extremistischer Vereinigungen. Er war zielstrebig, unerbittlich, intelligent – wenn auch nicht besonders gewitzt -, und sobald er seinen
Mund aufmachte, verstummte alles um ihn herum. Diese Eigenschaften flößten Furcht und Respekt ein. Jene Art von Furcht und Respekt, die man empfindet, wenn sich unaufhaltsam eine Rakete nähert.
Amirah hingegen … Ah, dachte Gault. Amirah war etwas ganz anderes. Wenn der Kämpfer für die Rakete stand, hatte die Prinzessin – denn das bedeutet ihr Name – das Steuer in der Hand. Vielleicht nicht ganz, denn diese Aufgabe teilte sie sich mit Gault. Seiner Meinung nach war es die erfolgreichste, harmonischste und wahrscheinlich auch profitabelste Zusammenarbeit, seitdem ein gewisser Hannibal einen Elefantenhändler getroffen hatte und sich auf den Weg über die Alpen machte …
Nein, sie war sogar noch besser.
Der Zelteingang wurde aufgerissen, und der Kämpfer trat ein. Er ging nicht einfach von A nach B – nein, er stolzierte in der gleichen Weise wie Fidel Castro. Er bewegte sich durch Zeit und Raum, als ob er die Moleküle, die es wagten, sich ihm in den Weg zu stellen, eines Besseren belehren wollte. Sein Gang erinnerte Gault an
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