Patient Null
lange.
Ich ging mit ihr zum Bett, und wir legten uns hin, ihr Gesicht noch immer gegen meine Brust gepresst. Ihre Tränen hatten mein T-Shirt durchnässt, und ihr Körper fühlte sich heiß an. Vielleicht sagte ich etwas, ich kann mich nicht erinnern. Ihr Körper zuckte immer wieder zusammen, und ein Krampf nach dem anderen schüttelte sie, bis der Sturm langsam abklang. Ihre Arme umschlangen mich, und ihre Finger waren in mein T-Shirt gekrallt.
So lagen wir eine Weile da. Auf einmal spürte ich eine Veränderung in ihr. Ihre allumfassende Trauer machte einer Verlegenheit Platz, als sie merkte, wo wir waren und was wir taten. Wir lagen so nahe nebeneinander wie Liebende, auch wenn die Situation nichts Sexuelles gehabt hatte – weder ihre Tränen noch unsere Umarmung, noch nicht einmal die Tatsache, dass wir beide zusammen auf meinem Bett lagen. Zumindest zuerst nicht. Doch jetzt spürten wir beide ein Knistern und wurden uns plötzlich unserer Körper bewusst – die Stellen, an denen wir einander berührten, wie unsere Beine ineinanderverschlungen waren,
sich unsere Hüften aneinanderpressten, wie ihre Brüste gegen mich drückten. Wir merkten die Hitze und den erregten Geruch, der in der Luft lag.
Dann kam der Moment, in dem wir uns eigentlich hätten trennen und wieder unserer Wege gehen sollen. Doch wir ließen diesen Moment verstreichen.
Nach einer Weile sagte Grace sanft: »Deswegen bin ich nicht gekommen.«
»Ich weiß.«
»Es … Es gibt nur keinen anderen. Mit Mr. Church kann ich nicht reden. Nicht über so etwas. Zumindest nicht so.«
»Nein.«
»Und Dr. Sanchez kenne ich noch nicht – oder noch nicht gut genug.«
»Mich kennst du doch auch nicht.«
»Doch«, widersprach sie, die Stirn an mein Kinn gelehnt. »Dich kenne ich. Ich weiß über Helen Bescheid. Ich weiß über deine Mutter Bescheid. Du hast so viel verloren. So viel … Wie ich.«
Ich nickte, und sie konnte es fühlen.
»Wirst du mit mir schlafen?«
Ich lehnte mich etwas zurück und blickte sie an. »Nicht jetzt«, sagte ich. Als ich die Kränkung in ihrem Gesicht sah, lächelte ich und schüttelte den Kopf. »Du hast zwei Bier getrunken, bist tieftraurig, körperlich erschöpft und stehst unter Schock. Ich müsste der größte Arsch der Welt sein, um das auszunützen.«
Grace sah mich eindringlich an. »Du bist ein außergewöhnlicher Mann, Joe Ledger.« Sie berührte mein Gesicht. »Ich hätte nie gedacht, dass du liebenswürdig sein kannst. Zumindest nicht mir gegenüber. Aber du bist ein echter Gentleman.«
»Wir sind eine aussterbende Rasse … Einer nach dem anderen von uns muss dran glauben.«
Sie lachte und schmiegte wieder ihren Kopf an mich. »Danke, dass du mir zugehört hast, Joe.«
Dann herrschte wieder Stille, bis sie meinte: »Ich habe dich schon in der Fabrik gefragt, ob wir es jetzt hinter uns haben. War das die letzte Zelle? Haben wir die Terroristen in den Staaten besiegt, oder wissen wir einfach nicht, wo wir als Nächstes suchen sollen?«
»Keine gute Frage im Dunkeln«, meinte ich und strich über ihre Haare.
»Church hat mit dem Präsidenten und dem Gesundheitsministerium gesprochen. Es ist alles Nötige in Bewegung gesetzt worden, um die Pharmaindustrie mit einzubeziehen. In zwei Tagen wird der Präsident in einer geschlossenen Sitzung den Kongress über die Sachlage aufklären. Die Vereinigten Staaten, Großbritannien und die anderen Alliierten werden ihre gesamten Ressourcen umstrukturieren.«
»Aha.«
»Aber warum habe ich noch immer Angst?«, wollte sie wissen.
Ich dachte nach.
»Aus dem gleichen Grund, warum auch ich Angst habe«, antwortete ich schließlich.
Dann herrschte wieder Schweigen. Wir lagen lange so da, bis ihr Atmen einen langsamen, gleichmäßigen Rhythmus annahm. Ich küsste ihre Haare, und sie schmiegte sich enger an mich. Dann schlief sie ein. Ich lag noch länger wach, bis der Schlaf auch mich übermannte.
91
DMS-Lagerhalle, Baltimore Samstag, 4. Juli / 06:01 Uhr
Grace und ich frühstückten in der Kantine, ehe die Sonne aufging. Wir sprachen nicht viel. Dann inspizierte sie ihr Team, und ich machte einen Anruf. Ich hoffte, Church aufzuwecken. Ich wollte hören, wie er klang, wenn er nicht ganz präsent war. Aber er antwortete bereits nach dem ersten Klingeln. Verdammter Roboter.
Statt dem üblichen »Hallo« fragte er: »Gibt es ein Problem?«
»Nein. Ich wollte mich nochmal nach dieser Liberty-Bell-Sache erkundigen. Kann das Echo-Team weiterhin mit nach
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