Patient Null
nicht einmal gähnen sehen. Eigentlich bin ich davon überzeugt, dass er ein Cyborg ist.«
»Würde mich nicht wundern. Entweder das oder da steckt etwas in diesen Vanillewaffeln.«
Sie warf einen Blick auf einen Computerausdruck. »Hier stehen die Namen der Direktoren, die dem DMS Leute geschickt haben. Etwa die Hälfte von ihnen wird heute in Philadelphia auftauchen, um der Umwidmung der Liberty Bell beizuwohnen. Entweder als Gäste oder als Profis. Da die First Lady, die Frau des Vizepräsidenten und weitere fünfzig Frauen von Kongressabgeordneten sowie über hundert Abgeordnete anwesend sein werden, wird es ein einziges Sicherheitschaos geben. Die Bosse der Agenturen werden persönlich dafür sorgen, dass ihre Leute scharf aufpassen. Es soll schließlich keiner von den großen Tieren zu Schaden kommen.«
»Ich weiß. Aber wie soll uns diese Liste weiterhelfen?«
»Der Präsident hat auf Mr. Churchs Drängen jeden Direktor persönlich gebeten, sich zu unserer Verfügung zu halten. Wir können Meetings einberufen und jeden Einzelnen unter vier Augen sprechen – natürlich nur, wenn wir wollen.«
»Während der Zeremonie?«
»Uns bleibt leider nichts anderes übrig.«
Ich blieb skeptisch. »Schön und gut. Aber wie sollen wir das tun, während eine Ansprache nach der anderen gehalten wird?«
»Die Umwidmung dauert nur zwei Stunden.«
»Stimmt«, sagte ich. »Dann satteln wir mal die Pferde und reiten los.«
92
El Mudschahid / Motorways-Hotel 4. Juli
Der Kämpfer saß am Rande des Betts. Er trug eine Baumwollhose und ein ärmelloses Hemd, das seine kraftvollen Schultern, Hals und die muskulösen Arme gut zur Schau stellte. Seine Bandagen hatte er abgenommen und ließ sich von den Anwesenden das Gesicht inspizieren. Die Wunde, die vom Haaransatz bis zum Kinn verlief, schimmerte rot und grün.
Die beiden Männer saßen ihm gegenüber auf dem Sofa und starrten ihn fassungslos an. Ahmeds Miene spiegelte Mitgefühl wider. Schließlich war El Mudschahid der Mann seiner Schwester Amirah.
Zu seiner Rechten saß ein junger schwarzer Kerl mit einer Nickelbrille und einem gestrickten Kufi , der auf seinen kurz geschnittenen Haaren ruhte. Saleem Mohammed nannte er sich, war aber vor sechsundzwanzig Jahren als John Norman in West Philadelphia auf die Welt gekommen. Er hatte sein theaterwissenschaftliches Studium an der Temple University erfolgreich abgeschlossen, währenddessen er sich als Maskenbildner und Kostümdesigner spezialisierte. Die ersten beiden Jahre nach seinem Studium war er am Broadway tätig gewesen. Vor achtzehn Monaten war er allerdings einem afroamerikanischem Mullah über den Weg gelaufen, der ihm zuerst die Lehre Mohammeds beigebracht und ihn später mit den etwas radikaleren Methoden El Mudschahids bekanntgemacht hatte. Saleem hatte sich mehr und mehr für die Sache engagiert. Sein Weg vom Islamschüler zum fundamentalistischen Politiker war reibungslos verlaufen. Jahre unterdrückter Wut sprudelten an die Oberfläche, und als er Videos von El Mudschahids Hetzreden gegen die westliche Einmischung in die Kultur und Religion des Mittleren Osten sah, war er sofort Feuer und Flamme gewesen. Im Gegensatz zu vielen
seiner ebenfalls konvertierten Mitgläubigen war Saleem überzeugt, dass es in Ausnahmefällen extremer Methoden bedurfte, um die Anhänger des einen wahren Gottes zu schützen. Saleem sah wie ein Künstler aus – und das war er auch -, aber in seiner Brust schlug das Herz eines Gotteskriegers.
Er machte einen jungen Eindruck auf El Mudschahid, wie er ihm gegenüber auf dem Sofa saß. Aber er bemerkte auch das Feuer in Saleems Augen. Das gefiel ihm. Der junge Mann belustigte den Kämpfer ein wenig, doch zugleich war er stolz auf ihn und die Kraft und Stärke seines Glaubens. Eine Stunde lang hatten sie über den Koran gesprochen und zusammen gebetet. Nun waren ihre Gebetsteppiche wieder verräumt, und sie saßen da und unterhielten sich. El Mudschahid hatte sein Hemd ausgezogen und die Bandagen abgenommen, so dass sich Saleem einen Eindruck von der Wunde machen konnte.
»Schaffst du es?«, fragte der Kämpfer.
»Ja. Es ist gar nicht so schwer. Im Gegenteil – es ist sogar sehr einfach.« Saleem wandte sich an Ahmed. »Und ich dachte, Sie hätten eine schwierige Aufgabe für mich.«
Ahmed schüttelte den Kopf. »Nein, nicht schwierig. Aber wichtig.«
»Man darf nichts mehr sehen«, sagte El Mudschahid. »Keine Wunde, keine blauen Flecken.«
Saleem lächelte ihn ernsthaft an.
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