Patient Null
Abgeordneten von Pennsylvania, eine zweitausend Pfund schwere Glocke im Turm des Versammlungsgebäudes, der heutigen Independence Hall, anbringen zu lassen.«
Einer der Agenten hatte inzwischen O’Brien erreicht und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Befehl musste wohl getarnt sein, denn O’Brien nickte und ging dann widerstandslos auf den Ausgang zu. Er musste sich einen Weg durch die Massen von Reportern bahnen, und die beiden Agenten folgten ihm.
»Er versucht nicht, zu fliehen«, sagte Grace. »Vielleicht hast du dich geirrt.«
»Falls ja, dann werde ich mich entschuldigen.« Trotzdem sah ich O’Brien misstrauisch hinterher.
»Den Auftrag für die Liberty Bell erhielt schließlich eine Gießerei im englischen Whitechapel«, fuhr die First Lady fort. »Es war die Aufgabe des damals berühmten Glockengießers Thomas Lester, die erste Liberty Bell zu gießen und mit den historischen Worten zu schmücken: ›Verkünde Freiheit im ganzen Land für alle Bewohner.‹ Leider riss die erste Glocke, kurz nachdem sie aufgehängt worden war, und eine Ersatzglocke musste …«
… die Aufgabe des damals berühmten Glockengießers Thomas Lester, die erste Liberty Bell zu gießen …
»Und am heutigen Tag werden wir nun eine neue Glocke enthüllen, entworfen und gegossen von Andrea Lester, die für die Umwidmung anwesend ist.« Die First Lady zeigte auf eine kleine, ernst blickende Frau in einem gelben Hosenanzug. »Ms. Lester ist die einzige Nachfahrin des ursprünglichen Glockengießers und hat den langen Weg von North Carolina auf sich genommen, um dieser Zeremonie beizuwohnen …«
In meinem Kopf begann sich alles zu drehen. Rudy hatte es offensichtlich auch bemerkt, denn er wandte sich zu mir um und starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Lautlos formte er das Wort »Glockengießer«.
Thomas Lester, der Mann, der die erste Liberty Bell gegossen hatte.
Seine Nachfahrin, Andrea Lester, die Gießerin der neuen Glocke.
Lester … Glockengiesser!
Gütiger Himmel! Aldin hatte uns alles gesagt, aber wir hatten es nicht verstanden.
Ich sah, wie Andrea Lester einen raschen Blick von der First Lady zum verschwindenden O’Brien warf. Dieser hatte sich umgedreht und sah in den Raum, wobei er Andrea Lester direkt in die Augen schaute. Die Agenten nahmen ihn an den Oberarmen, um ihn hinauszuführen. Sie wollten offensichtlich eine Szene vermeiden.
Ich packte Grace so fest am Arm, dass sie zusammenzuckte und beinahe das Telefon fallen ließ.
»Grace, hör zu! Es gibt keinen Lester Glockengiesser. Es gibt nur eine Andrea Lester, von Beruf Glockengießerin. Sie hat die Freedom Bell gegossen.«
Gerade als ich losstürzen wollte, fassten Helfer nach den Kordeln und zogen daran, um die neue Liberty Bell zu enthüllen. Der rot-weiß-blaue Stoff fiel zu Boden, und vor
meinem inneren Augen formten sich der herabfallende Stoff und die amerikanischen Farben zu einem schrecklichen Bild. In der Vorhalle sah ich, wie Agent Michael O’Brien sich seiner zwei Aufpasser entledigte, breit grinste und eine kleine Schachtel aus seiner Tasche hervorzog.
Die Schachtel enthielt einen Detonator!
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Amirah / Im Bunker
Amirah stand auf der metallenen Übergangsbrücke, die das Hauptlabor in sieben Meter Höhe umlief, und beobachtete ihre Leute. Sie standen geduldig da und warteten mit hochgekrempelten Ärmeln darauf, von Krankenschwestern eine Spritze verabreicht zu bekommen. Jeder Einzelne wirkte so stolz. Sie wussten, dass sie Teil einer wichtige Sache waren und bereits einen ungeheuren Sieg im Kampf gegen die Ungläubigen errungen hatten.
Amirah lächelte.
Eine der Krankenschwestern warf ihr einen Blick zu, und die beiden Frauen tauschten ein Lächeln aus. Niemand merkte, dass die Flüssigkeit in der Flasche, mit der diese Schwester ihre Nadeln füllte, eine andere Farbe als die anderen hatte. Ihre war grünlich, die anderen hingegen schimmerten eher bernsteinfarben. Die Krankenschwester benutzte eine weiße Nadel und verrichtete ihre Aufgabe mit ungeheurer Effizienz. Erst füllte sie die Nadel, injizierte dann den Techniker mit dem Medikament, säuberte die Nadel mit Alkohol und füllte sie dann erneut auf, bis sie die gesamte Schlange an Menschen durchhatte.
Amirah betrachtete ihren eigenen Unterarm und kratzte geistesabwesend über die Einstichstelle. Schwarze Linien
hatten sich darum gebildet, und sie fing an zu schwitzen. Ihre Kleidung war viel zu dick. Der Schweiß begann ihr den Rücken hinunterzulaufen. Sie hielt
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