Patient Null
eine Schlacht, die bis zum erbitterten Sieg geführt worden war. Ein Halbkettenfahrzeug, das durch eine Sprengbombe am Straßenrand außer Gefecht gesetzt wurde; britische Soldaten den Rebellen zahlenmäßig unterlegen. Die Soldaten hatten aufgrund ihres unnachgiebigen Widerstands heftige Verluste erlitten. Alle Feinde waren vernichtet worden. Von den sieben Briten im Halbkettenfahrzeug waren vier tot – völlig verstümmelt und verkohlt -, während sich die restlichen drei verzweifelt an dem seidenen Faden des Lebens festklammerten.
»Los, los, los«, flüsterte El Mudschahid, und sein Leutnant verschwand in einem Loch, das von einer mit Zweigen und Blättern versteckten Falltür verdeckt war. Die Stille wurde durch das näher kommende Geräusch der Helikopterrotoren unterbrochen, welches das erbärmliche Winseln der Überlebenden übertönte.
»Allah akbar!«, murmelte El Mudschahid und testete mit dem Daumen den scharfen Metallsplitter, den er sich für die Mission ausgesucht hatte. Dann legte er die Kante an die Stirn, direkt an die Haarlinie und atmete rasch aus, als das Metall durch seine Haut fuhr. Von oben links nach unten rechts, durch seine Augenbraue, über den Nasenrücken, die Wange entlang bis zu seinem Kinn. Der Schmerz explodierte in ihm, und Blut strömte aus der Wunde. Er spürte, wie sich Tränen in seinen Augen bildeten, und musste sich konzentrieren, damit er den weißglühenden Schmerz aushielt. Es war schlimmer – viel schlimmer – als erwartet, und er stand kurz davor, laut aufzuschreien.
Die Helikopter kamen näher. Mit einem lauten Keuchen warf El Mudschahid den Metallsplitter fort und sackte nach
vorn über das Wrack. Es gelang ihm, Blut aus der Nase und dem Mund zu prusten, so dass es die Oberflächen vor ihm besudelte. Als der erste Helikopter landete, hatte er sich bereits perfekt positioniert. Sein Gesicht hatte sich in eine Maske aus leuchtendem Blut verwandelt, seine Kleidung triefte vor roter Flüssigkeit. Sein Herz klopfte wild, und er spürte, wie bei jedem Schlag neues Blut aus der Wunde quoll.
Er schloss die Augen. Dann hörte er die ersten Schritte der Soldaten, wie sie aus dem Helikopter sprangen. Jetzt streckte er eine blutige Hand nach ihnen aus und ließ einen unmenschlichen Schrei ertönen. Es war ein nasser, gurgelnder Laut, undeutlich, wild und voller Qual.
»Hier!«, hörte er eine Stimme. Schon wankte das Halbkettenfahrzeug: Die Männer hatten es bestiegen. Hände fassten nach ihm, untersuchten ihn, kontrollierten seinen Puls.
»Der hier lebt noch. Her mit den Sanis, aber etwas plötzlich!«
Finger legten sich um seinen Hals und tasteten nach seiner Erkennungsmarke. Dann: »Sergeant Henderson«, ertönte eine Stimme, den Namen lesend. »103. Panzerdivision.«
»Macht Platz! Lasst mich zu ihm«, rief eine andere Stimme. Kurz darauf spürte El Mudschahid eine Kompressionsbinde auf seinem Gesicht. Die Briten kämpften um das Überleben ihres mutmaßlichen Kameraden.
Es bedurfte seiner gebündelten Selbstbeherrschung, nicht zu grinsen.
31
Baltimore, Maryland Dienstag, 30. Juni / 14:51 Uhr
Wir befanden uns in Courtlands Büro. Nur wir beide. Noch war nicht alles für mich ausgepackt, ich musste also mit einem Klappstuhl aus Plastik vorliebnehmen. Wir tranken Mineralwasser. An einer Wand des Büros befand sich ein großes Panoramafenster mit Blick auf den Hafen. Die Nachmittagssonne ließ die Welt da draußen friedlich und ruhig erscheinen, aber die Illusion, die sich in Wahrheit dahinter versteckte, drehte mir den Magen um. Ich wandte mich vom Fenster ab und blickte Major Courtland an.
»Es wäre mir lieber gewesen, Ihnen die ganze Wahrheit sofort zu sagen, aber Mr. Church gab zu bedenken, dass wir nicht viel Zeit haben. Ihre Lernkurve wird also dementsprechend ziemlich steil verlaufen müssen.« Sie lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Obwohl sie eine Kampfhose trug, konnte ich sehen, dass sie schöne Beine hatte. Außer ihrer Persönlichkeit, die irgendwo zwischen verrücktem Alligator und einer eingeschüchterten Moräne variierte, hatte ich wenig an ihr auszusetzen. Ich mochte sogar ihre rauchige Stimme und den britischen Akzent. Nur mit ihrer Persönlichkeit hatte ich so meine Probleme.
»Dann schießen Sie mal los«, meinte ich.
»Nach 9/11 hat die amerikanische Regierung die Innere Sicherheitsbehörde beziehungsweise Homeland Security ins Leben gerufen. Die Briten gründeten eine ähnliche Organisation, wenn auch etwas
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