Patria
Kirchenschiff, durch die er am Nachmittag zur Empore hinaufgestiegen war, auch nachts nicht verschlossen war, und stellte zu seiner Freude fest, dass sie weit offen stand.
Im Kirchenschiff herrschte Grabesstille.
Das Licht der Scheinwerfer, die die Kirchenfassade anstrahlten, fiel auch durch die Buntglasfenster, und unter der Empore sorgten ein paar Glühfunzeln für ein schwaches Licht.
»Diese Kirche wirkt nachts völlig anders«, raunte Pam.
Malone, der jetzt hellwach war, stimmte ihr zu.
Er marschierte zum Altarraum und sprang über die Samtseile, die den Chor abtrennten. Dann stieg er die fünf Stufen zum Hochaltar hinauf und blieb vor dem Retabel stehen.
Er drehte sich um und sah zur Empore am anderen Ende der Kirche hinauf.
Das Rosenfenster, das jetzt nicht mehr im Sonnenlicht leuchtete, starrte wie die riesige Iris eines blassgrauen Auges auf ihn herab.
McCollum, der anscheinend schon wusste, was Malone gleich brauchen würde, reichte ihm Streichhölzer und eine Kerze. »Vom Opferkerzenständer beim Taufbecken. Hab ich vorhin da entdeckt.«
Malone nahm die Kerze entgegen, und McCollum entzündete den Docht. Malone hielt das schwache Licht an das Retabel und betrachtete das in die Tür des Tabernakels eingelassene Bild.
Maria saß mit dem Kind auf dem Schoß im Vordergrund, Joseph stand hinter ihr, und alle drei trugen Heiligenscheine. Drei bärtige Männer, einer davon kniend, huldigten dem Kind. Drei andere Männer, von denen der eine sonderbarerweise eine Art Kampfhelm zu tragen schien, sahen ihnen zu. Am Himmel schien ein fünfzackiger Stern aus den Wolken hervor.
»Die Geburt Jesu«, sagte Pam von hinten.
Malone nickte. »So sieht es aus. Die drei Weisen folgen dem Stern und huldigen dem neugeborenen König.«
Er dachte an das Rätsel. Wonach sollten sie hier suchen, wo Silber sich in Gold verwandelte? Suche den Ort, der eine Adresse ohne Ort darstellt, und an dem ein anderer Ort zu finden ist.
Das war schwierig.
»Wir müssen hier raus, aber wir brauchen unbedingt ein Foto von diesem Bild. Leider haben wir keine Kamera. Hat jemand von euch eine Idee?«
»Nachdem ich die Eintrittskarten gekauft hatte, bin ich nach oben gegangen«, berichtete McCollum. »Dort gibt es einen Souvenirladen mit Büchern und Postkarten. Da ist bestimmt auch ein Foto von diesem Bild zu finden.«
»Eine gute Idee«, sagte Malone. »Führen Sie uns doch dorthin.«
Sabre stieg die Treppe zur oberen Galerie hinauf, froh, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Als Alfred Hermann ihm die Aufgabe erteilt hatte, die Bibliothek aufzuspüren, hatte er schnell einen Plan gefasst, und die Eliminierung des israelischen Überwachungsteams in Deutschland hatte ihn in seinem Vorhaben bestärkt.
Hermann hätte diese offene Provokation der Israelis niemals gebilligt, und Sabre hätte ihm unmöglich erklären können, dass diese Morde notwendig waren, um die andere Seite für die wenigen Tage aus dem Gleichgewicht zu bringen, die er brauchte, um sein Ziel zu erreichen.
Falls dieses Ziel überhaupt zu erreichen war.
Aber vielleicht würde es ihm ja gelingen.
Allein hätte er das Rätsel der Reise des Helden niemals lösen können, und die Einbeziehung eines anderen Menschen als Malone hätte die Gefahr vergrößert aufzufliegen. Der einzig gangbare Weg war tatsächlich gewesen, so zu tun, als ob er sich mit Malone zusammentun würde.
Es war ein riskanter Schritt, aber er hatte sich ausgezahlt, denn das Rätsel war schon zur Hälfte gelöst.
Sabre stieg die Treppe hinauf, betrat die obere Galerie des Kreuzgangs, wandte sich nach links und ging direkt auf eine gläserne Flügeltür zu, die in dieser mittelalterlichen Umgebung vollkommen deplatziert wirkte. Das Handy in seiner Hosentasche zeigte bereits vier Anrufe von Alfred Hermann an. Sabre hatte überlegt, ob er den alten Mann nicht zurückrufen sollte, um ihn zu beschwichtigen, dann aber beschlossen, dass das ein Fehler wäre. Hermann würde ihm viele Fragen stellen, und er könnte ihm kaum Antworten geben. Sabre hatte den Orden und Alfred Hermann lange Zeit genau beobachtet, und er glaubte, die Stärken und Schwächen von beiden zu kennen.
Die Mitglieder des Ordens waren in erster Linie Geschäftsleute, aber bevor der Orden die Israelis, die Saudis oder die Amerikaner schröpfen konnte, musste er mit ihm handelseinig werden.
Und er würde nicht billig verkaufen.
Malone folgte Pam und McCollum in die obere Galerie, wo er das beeindruckende Gewölbe
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