Patrimonium
schlaksige Junge, den er verfolgt hatte, war nicht mehr am Leben. Dessen war sich Halvorsen sicher. Es ging nur darum, an die Stelle zurückzukehren, an der die Konfrontation stattgefunden hatte, und die erforderlichen Beweise dafür einzusammeln. Eine winzig kleine Menge DNS, das war alles, was er brauchte. Die Raubtiere hatten diese doch bestimmt zurückgelassen. Nachdem er für sein Vergnügen bezahlt hatte, begann er, auf das pulsierende Portal zuzugehen, das den Ausgang am anderen Ende des Raums darstellte.
Die Performance-Fläche wurde von Luminanten, sprudelnden Lichtquellen, beleuchtet, deren Formen sich von hüllenlosen Männern über nackte Frauen bis hin zu unbekleideten Kreaturen, deren pulsierende Extremitäten und Körperöffnungen ihn eher abstießen als erregten, veränderten. Mit angewidertem Gesicht bahnte er sich schiebend und stoßend den Weg an einer in der Luft schwebenden Sängerin vorbei. Ihr körperloser Kopf trällerte in einer obskuren terranischen Sprache, die ebenso melodisch wie unverständlich klang, doch er strebte weiter auf die Tür zu. Enttäuscht machten sich die diversen Lichtgestalten daran, erneut eine andere Form anzunehmen.
Abgelenkt von dem Luminanten, der versucht hätte, ihm etwas zu verkaufen, wenn er die Gelegenheit dazu bekommen hätte, sah er die beiden Tlel nicht, die gerade vor ihm vorbeigingen. Als er gegen sie stieß, streckte sich der eine von beiden ein wenig und richtete sein Augenband in Halvorsens Richtung.
»Ich bitte um Verzeihung, da Sie ja offensichtlich durch irgendetwas beeinträchtigt sind.« Dann fügte er noch einen tiefen Kehlkopflaut in seiner eigenen Sprache hinzu.
»Verzeih dir doch selber!«, knurrte Halvorsen warnend und versuchte, um die beiden herumzugehen. Außerdem sagte er noch etwas in fehlerfreiem Tlelianisch.
Das Tlel-Paar sah ehrlich schockiert aus. Wenn die beiden ihren Zorn einfach heruntergeschluckt hätten und weitergegangen wären, hätte der Austausch hier ein Ende gefunden. Doch da sie Halvorsens Erwiderung völlig verblüffte, blieben sie beharrlich und stellten sich ihm in den Weg.
Es war überraschend, dass der Schwall an Emotionen, der von Halvorsen ausging, nicht schon ausreichte, sie beiseitezuschieben. »Geht mir aus dem Weg!«
»Es gab keinen Grund, derart zu reagieren, absolut gar keinen«, erklärte der Mann geradeheraus. »Wir können Sie zwar nicht dazu zwingen, aber wir bitten um eine angemessene Entschuldigung.«
»Entschuldigung?« Sehr langsam drehte sich Halvorsen zu dem Einheimischen um. Dessen Körpergeruch erfüllte seine entsprechenden Sinne und machte ihn ein klein wenig benommen. »Ich gebe dir eine …« Bevor er ausgesprochen hatte, tat der Tlel etwas – und es war das Schlimmste, was er in der Situation tun konnte.
Er berührte Halvorsen.
Dutzende weicher, zugreifender Zilien legten sich um den dicken rechten Oberarm des Menschen. Diese Geste sollte ihn gleichzeitig beruhigen und zurückhalten und war bei den Einheimischen üblich, um die Bitte nach einer Entschuldigung zu unterstreichen. Zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort hätte Halvorsen sie vermutlich richtig interpretiert, auch wenn er dennoch zweifellos mit einem groben Kraftausdruck gekontert hätte. Doch angesichts seines augenblicklichen mentalen und emotionalen Zustands war es nicht überraschend, dass er in diesem Augenblick auf körperliche Weise reagierte.
Nach Halvorsens Maßstab war es nicht mehr als ein Schubsen. Aber in seinem nicht mehr ganz zurechnungsfähigen Zustand legte er mehr Kraft hinein, als er es normalerweise beabsichtigt hätte. Außerdem nahm seine rechte Hand, mit der er zustieß, instinktiv eine Kampfhaltung ein: Die Finger zogen sich zurück, und der Handballen stieß nach vorn. Allerdings war es eher ein Missgeschick als Absicht, dass er den höflich protestierenden Tlel damit an seiner verletztlichsten Stelle traf.
Der dünne Hals brach wie ein dürrer Ast. Augenblicklich verdunkelte sich das Augenband des Mannes. Der flache Kopf plumpste reglos auf die Seite. Halvorsen lebte zwar schon seit einiger Zeit auf Gestalt, doch die Geräusche, die die Frau jetzt von sich gab, hatte er noch nie in seinem Leben gehört. Ihm ging auf, dass er soeben getötet hatte – und das nicht, wie es bei ihm normalerweise üblich war, aus einem ehrenwerten Grund wie Geld, sondern einfach nur aus törichter Wut. Er hatte, wenn auch nur kurz, die Kontrolle verloren. Dieses Wissen verwirrte ihn weitaus mehr als die
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