Patterson James
einzige Aufgabe hatte, doch sie schätzte, dass
diese Aufgabe ihr einen wichtigen, wenngleich kleinen Platz in
der Medizingeschichte verschaffen würde. Tatsächlich hatte
diese Selbsteinschätzung ihr zu ihrem Spitznamen verholfen:
Cog, Zahnrädchen, Sie trug die Verantwortung für den Scoop,
das formschöne Instrument aus Titan mit seinen Porsche-artigen
Kurven und empfindlichen Kalibrierungen, die genau wie ein
teurer Sportwagen ständige Feinabstimmung benötigten. Cog
war verantwortlich für die Einsatzbereitschaft und die Wartung
des Scoops, und es würde ihren Hals kosten, wenn mit diesem
hochmodernen technischen Gerät irgendetwas schief ging. Und
»den Hals kosten«, das war im Hospital durchaus nicht als Witz
zu verstehen.
Ein leises, recht stimulierendes Summen verkündete die
Einfahrt des Scoops in den Operationssaal. Er bewegte sich
entlang einer Schiene an der Decke.
Cog, unkenntlich unter ihrer Mütze und Maske und in ihrem
blauen OP-Kittel, folgte dem Scoop auf seinem Weg zum OPTisch.
Über dem nackten Körper von Raoul Ramirez, einem
achtzehnjährigen Jungen aus Coral Gables, Florida, kam er zum
Stehen.
Raouls Körper lag weit aufgeschnitten da. Ein langer zentraler
Schnitt vom Hals bis zum Schambein, zwei Schnitte quer dazu
am oberen und unteren Ende, und die beiden Lappen aus Haut
und Muskeln wurden von Klemmen aufgehalten. Die Rippen
waren ebenfalls gespreizt, und darunter lagen die nackten
Organe, befreit von jeglichem Haltegewebe.
Cog hob die Hände an die beiden lateralen Griffe des Scoops,
die an die Handgriffe eines Fahrrads erinnerten. Sie bemühte
sich, nicht an die Person Raoul Ramirez zu denken, während sie
ihre Arbeit machte.
Das ist Wissenschaft, sagte sie sich. Es war wichtig,
notwendig; und es geschah überall auf der Welt, insbesondere in
China und Japan. Es war von größter Bedeutung, dass die
Vereinigten Staaten nicht den Anschluss verloren und zu guter
Letzt andere Länder überflügelten, oder?
Der Scoop war ein wichtiges Instrument, und Cog war eine
wichtige Person.
Sie führte die hydraulisch betriebenen Schaufeln zu einer
exakt definierten Position über dem Torso des Jungen. Nach
Augenmaß und mit viel Gefühl öffnete sie die Schaufeln, senkte
sie herab und schob die Titanzähne unter Raouls innere Organe.
Dann justierte sie die Schaufeln so, dass die umschlossenen
Eingeweide weder abrutschen noch zerreißen konnten.
Schließlich arretierte sie das glitzernde Maul der Maschine und
legte einen weiteren Schalter um.
Mit leisem Summen glitten die Schaufeln nach oben und
hoben das »Paket« von Organen aus dem Rumpf des Jungen.
Der Rumpf war nun im Hospitaljargon ein »Kanu«.
Cog legte einen weiteren Schalter um und folgte dem Scoop
auf dem Weg zurück und durch eine Öffnung in der Wand zu
einem sich anschließenden Raum, den sie »Bad« nannten.
In Cogs Augen erinnerte das Bad eher an eine Dunkelkammer.
Eine lange Wanne aus rostfreiem Edelstahl nahm eine ganze
Wand ein, und in der Mitte des Raums stand ein grauer
Metalltisch. Auf dem Tisch standen drei rechteckige Becken,
ebenfalls aus rostfreiem Stahl, dreißig Zentimeter hoch, gefüllt
mit Flüssigkeit.
Das Scoop lief summend an der Schiene entlang, bis es über
dem ersten Becken zum Halten kam.
Cog griff nach oben und senkte die Schaufel ab, bis sie
vollständig in die Flüssigkeit eintauchte. Zufrieden mit ihrer
Arbeit bis zu diesem Zeitpunkt, öffnete sie den Scoop und schob
zwei Schläuche in die abgetrennten Enden der größten
Blutgefäße. Erst als sie damit fertig war, öffnete sie die
Klemmen, die die große Hohlvene und die Bauchschlagader
verschlossen hielten.
Blut sprudelte aus der Aorta und wurde über den einen
Schlauch in einen Kanister abgeleitet, während durch den
anderen eine kurzlebige Sauerstoffquelle mitsamt einem
reinigenden Enzym in die Organe gespült wurde. Nachdem das
Herz und die Lungen und alle anderen Organe von der
sauerstoffangereicherten Lösung rosig leuchteten, klemmte Cog
die Blutgefäße erneut ab und schloss die hungrigen Schaufeln
des Scoops wieder.
Der Scoop hob das Organpaket hoch und positionierte es über
dem zweiten Becken. Dieses enthielt eine weitere enzymatische
Lösung, eine trübe Brühe, die mikrobiologisch maßgeschneidert
worden war, um Fettknötchen, Blut und jegliche Überreste von
Bindegewebe zu zerstören.
Cog ließ das Paket in der Reinigungslösung »einweichen«.
Manchmal war es erforderlich, mit der
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