Patterson James
Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie sagen: In letzter
Zeit klappt aber auch gar nichts. »Keine Zeit für Gefühlsduselei.
Tut mir leid, Nicky. Ich werde erwartet. Hab noch nicht mal
Zeit, die hier in die Vase zu stellen.«
»Bemüh dich nicht.« Ich zuckte mit den Schultern. »Die waren
sowieso für mich.«
Ellen hatte ihre Brille mit dem roten Gestell auf, die ich aus
unerfindlichen Gründen ausgesprochen sexy fand. Ihre kleinen
Brüste drückten sich durch ihr eng sitzendes T-Shirt. Das erregte
mich. Verrückt. Vielleicht war es nur das momentane Gefühl,
dass ich gerade die ganze Aufregung um den Fall hinter mir
lassen konnte. Oder das Gefühl, dass ich etwas tun musste … für
uns. Ich weiß nicht. Als sie ein paar Sachen in ihre Handtasche
warf, legte ich meine Hände auf ihre Schultern.
»Nick, ich kann nicht. Ich habe mich unerlaubt von der Truppe
entfernt.« Sie drückte sich gegen mich. »Ich muss los. Ach, das
hätte ich fast vergessen – wie lief’s heute?«
»Gut.« Ich nickte. »Wir haben eine ganz gute Jury. Alle sind
bereit. Bleibt nur noch zu hoffen, dass uns Cavello und seine
Anwälte nicht übers Ohr hauen.«
»Nick, du hast alles Menschenmögliche getan, also hör auf
damit, dich selbst fertigzumachen. Manny wäre stolz.« Sie
küsste mich sanft auf die Wange. Nicht unbedingt das, was mir
im Kopf herumschwebte, aber es entlockte mir ein Lächeln.
»Grüße Diprovan von mir.«
»Nick …« Ellen schüttelte wenig belustigt den Kopf. An der
Tür drehte sie sich noch einmal um. »Tut mir leid wegen des
Abendessens. War eine nette Idee.« Dann blickte sie zu den
Sonnenblumen auf dem Tresen. »Du bist echt ein Romantiker.«
Eine ganze Weile blieb ich einfach dort stehen. Popeye, mein
neuer Tischnachbar, schnurrte an meinem Bein.
Wie ein verschmähter Schüler hoffte ich, Ellen würde es sich
anders überlegen und zurückkommen. Mich an diesen Strohhalm klammernd, hatte ich plötzlich das Gefühl, dass dies die
einzige Hoffnung für unsere Beziehung sein würde.
Aber von der Treppe kam kein Geräusch. Kein sich drehender
Schlüssel in der Tür. Ich war achtunddreißig, Leiter einer der
größten Verbrechensbekämpfungsabteilungen, ein hohes Tier
beim FBI. Aber da saß ich nun und löffelte Nudeln aus einem
Behälter, der für zwei gedacht war – ein Fremder in meiner
eigenen Wohnung. Die Stille wurde unerträglich.
Ich ging ins Schlafzimmer, nahm die Krawatte ab und zog das
Jackett aus. Im Arbeitszimmer sah ich nach, ob ein Fax gekommen war. Eine Wand stand mit Bücherregalen voll. Die meisten
Bücher stammten aus meiner Schulzeit, ein paar gehörten Ellen.
Medizin. Auf dem Schreibtisch stapelten sich die Akten zu
Cavellos Fall, an der Wand hing eine gerahmte schwarz-orange
Flagge.
PRINCETON 1989 IVY LEAGUE FOOTBALL CHAMPS
Wenn ich an jene Zeit dachte, taten mir immer noch einige
Knochen weh.
Ich nahm die Nudeln und etwas Wein mit ins Wohnzimmer,
wo ich meine Füße auf eine alte Schiffstruhe legte, die als
Sofatisch diente. Ich griff zu dem Buch, das ich gerade las,
Clintons Biografie, und schlug die Seite auf, bei der ich aufgehört hatte. Es ging um die Nahost-Friedensgespräche in Camp
David. Ich überlegte, mir das Spiel der Knicks im Fernsehen
anzuschauen. Nach ein paar Minuten hob ich den Blick, ohne
eine einzige Seite gelesen zu haben.
Liebte ich diese Frau? Würde es überhaupt klappen? Ellen war
der Wahnsinn, aber im Moment bewegten wir uns in unterschiedliche Richtungen. Und diese Gerichtsverhandlung würde
für unsere Beziehung auch nicht gerade förderlich sein.
Wirst du kämpfen, Nicky?
Ich schnappte mir Popeye. »Komm, du siehst aus, als hättest
du gern ein Date.«
Ich nahm mein Altsaxophon aus der Ecke und stieg mit Popeye in der anderen Hand aufs Dach hinauf. Dort löste ich
manchmal solche Fragen.
Es war eine kalte, klare Nacht. Über Manhattan glitzerten die
Sterne, das Empire State Building war in rotes, weißes und
blaues Licht getaucht, und auf der anderen Seite des Flusses sah
Jersey City im Lichterglanz wie Paris aus. So saß ich also hier,
während Ellens Katze zu meinen Füßen schnurrte, ein paar Tage
vor der wichtigsten Gerichtsverhandlung meines Lebens, und
begann zu spielen.
Clarence Clemons Riff aus Springsteens »Jungleland«. Eine
plumpe Version von Coltranes »Blue Train«. Ich kam zu dem
Schluss, dass es ein Loch in meinem Leben gab, und egal, wie
lange Cavello sitzen müsste, das Loch würde
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