Patterson James
Finger auf ihn, Mr. Kaskel.
Und wenn irgendetwas darauf hinweist, dass die Sache mit
Ihrem Mandanten zu tun …«
»Ist schon in Ordnung, Hy«, hielt Dominic Cavello seinen
Anwalt zurück. »Mir ist klar, wie sich die Richterin fühlen
muss. Sie tut, was sie tun muss. Das Problem ist nur: Ich habe
Freunde, die auch ein gewisses Gefühl für das haben, was sie für
richtig halten und tun müssen.«
»Was habe ich da gerade gehört?« Seidermans Blick bohrte
sich in Cavellos Augen.
»Von Anfang an habe ich versucht, Ihnen das zu sagen, Euer
Ehren«, meinte Cavello. »Das Ende dieses Prozesses werden wir
nicht erleben. Was soll ich sagen? Es ist, wie’s ist.«
Ich konnte nicht glauben, was ich da gerade gehört hatte.
Selbst für eine ungehobelte Person wie Cavello war es ungewöhnlich, vor Gericht eine derart direkte Bedrohung
auszusprechen.
»Agent Pellisante«, wandte sich die Richterin an mich, ohne
zu blinzeln.
»Ja, Euer Ehren.«
»Ich lasse die Sitzung für heute unterbrechen und möchte die
Geschworenen nach Hause schicken lassen. In der Zwischenzeit
werde ich entscheiden, wie die Verhandlung weitergeführt
wird.«
Ich hatte das Gefühl, auch meinen Beitrag zur Diskussion
beitragen zu müssen. »Die Geschworenen sollten abgesondert
werden, Euer Ehren. Wir können für ihre Sicherheit keine
Verantwortung mehr übernehmen. Für Ihre auch nicht. Wir
haben bereits mehrere Orte ausgesucht. Ich kann die Sicherheitsvorkehrungen anlaufen lassen, sobald Sie den Startschuss
geben.«
»Nick«, gluckste Cavello und drehte sich in meine Richtung,
»das hier ist eine riesige Stadt. Hey, vielleicht sollten Sie auf
sich selbst auch aufpassen.«
Ich trat einen Schritt vor, um ihm einen Fausthieb zu verpassen, aber der große, stämmige Marshal hinter mir hielt mich
zurück.
»Tun Sie das, Agent Pellisante.« Die Richterin nickte. »Leiten
Sie alles in die Wege. Sondern Sie die Geschworenen ab.«
Gegen halb zehn an diesem Abend faltete Andie Handtücher in
Jarrods Badezimmer zusammen. Ihr Lieblingssohn saß bereits
im Schlafanzug auf dem Bett, auf dem Schoß ein offenes
Schulbuch, doch den Blick ins Leere gerichtet.
»Mom, was ist eine Landzunge?«, rief er.
Andie kam aus dem Bad und setzte sich auf die Bettkante.
»Ein kleines Stück Land, das ins Meer hinausragt.«
»Was ist dann eine Halbinsel?«, fragte er daraufhin und blätterte eine Seite um.
Andie zuckte mit den Schultern. »Ich denke, ein größeres
Stück Land, das ins Meer hinausragt.«
An diesem Tag hatte sie ihn zum ersten Mal seit einer Woche
von der Schule abgeholt. Die Richterin hatte die Geschworenen
noch am Vormittag nach Hause geschickt, und jetzt brodelte die
Gerüchteküche. Die Zeitungen und Fernsehkommentatoren
erzählten, es seien Drohungen ausgesprochen worden. Vielleicht
gegen einige der Geschworenen.
Andie hatte um ein Gespräch mit der Richterin gebeten und
schließlich erwähnt, dass die Windschutzscheibe ihres Wagens
zwei Tage zuvor eingeschlagen worden war. Richterin Seiderman hatte gemeint, das habe wahrscheinlich nichts zu bedeuten.
Aber das beruhigte sie im Moment auch nicht.
»Ist dann nicht jedes Stück Land auf der Erde eine Art Halbinsel?« Jarrod zuckte mit den Schultern. »Ich meine, guck dir mal
Florida an. Oder Afrika oder Südamerika. Ragt nicht alles
irgendwo ins Meer hinaus?«
»Ich denke, ja.« Andie glättete seine Bettdecke und strich über
sein weiches, hellbraunes Haar.
»Hey«, beschwerte er sich und wand sich. »Ich bin kein Baby.«
»Du bist mein Baby und wirst es immer bleiben. Tut mir leid,
das war so abgemacht.«
Abrupt hielt Andie mitten in der Bewegung inne, als an der
Tür geklingelt wurde.
Jarrod setzte sich auf. Beide blickten sie auf den Wecker – es
war schon zehn Uhr durch. »Wer kann das sein, Mom?«
»Ich weiß nicht. Aber eins weiß ich sicher, Einstein.« Sie
nahm das Buch aus seiner Hand. »Das Licht wird jetzt ausgemacht.« Sie beugte sich hinunter und gab ihm einen
Gutenachtkuss.
»Nacht, Mom.«
Andie ging zur Wohnungstür, entriegelte sie und öffnete sie
einen Spaltbreit.
Sie musste zweimal hinschauen.
Es war dieser Typ vom FBI, den sie im Gericht gesehen hatte,
dieser hübsche. Er hatte einen uniformierten Polizisten dabei.
Nein – zwei waren es, ein Mann und eine Frau.
Was hatten die abends um zehn Uhr hier zu suchen?
Er hielt seine FBI-Marke nach oben. »Entschuldigen Sie, wenn
ich Sie erschreckt habe, Ms. DeGrasse. Dürfte ich vielleicht
reinkommen? Es ist wichtig.«
Andie öffnete die Tür.
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