Patterson James
Der FBI-Typ sah nett aus in seinem
olivfarbenen Regenmantel. Darunter trug er eine braune
Sportjacke und ein dunkelblaues Hemd mit Krawatte. Ihr fiel
ein, wie sie wohl aussehen mochte – in einem grellen, pinkfarbenen DKNY-Sweatshirt und einem Handtuch über der
Schulter. »Ich habe niemanden mehr erwartet.«
»Es tut uns leid, dass wir hier so reinplatzen. Ich bin Nicholas
Pellisante von der Abteilung ›Organisiertes Verbrechen‹ beim
FBI. Ich leite die Ermittlungen gegen Cavello.«
»Ich habe Sie im Gericht gesehen«, sagte Andie und fuhr
vorsichtig fort: »Gibt es nicht so eine Art Regel, dass wir nicht
miteinander reden dürfen?«
»Unter normalen Umständen ja.« Der FBI-Typ nickte.
»Normale Umstände? Ich verstehe nicht ganz. Was ist passiert?«
»Das Prozessverfahren wird geändert. Die Richterin hält es für
ratsam – und da kann ich ihr nur zustimmen –, die Geschworenen aus Sicherheitsgründen aus ihrer normalen Umgebung
abzuziehen.«
»Normale Umgebung?« Andie blinzelte. Was bedeutete das?
Sie fuhr mit der Hand durch ihr zerzaustes Haar.
»Die Richterin möchte, dass die Geschworenen abgesondert
werden. Ich möchte Sie nicht verängstigen. Es gibt keine
spezielle Drohung. Es dient nur Ihrem Schutz.«
»Meinem Schutz?«
»Ihrem und dem Ihres Sohnes«, bekräftigte Pellisante.
Jetzt war Andie doch verängstigt. »Das heißt, es gab doch
Drohungen?« Das Bild ihrer kaputten Windschutzscheibe blitzte
in ihren Gedanken auf. »Geht es darum, was neulich passiert
ist?«
»Das habe ich nicht gesagt«, antwortete Pellisante. »Draußen
wartet eine Beamtin, die Ihnen helfen kann.«
»Uns bei was helfen, Agent Pellisante?« Andie lief es eiskalt
den Rücken hinunter. »Da drin ist mein neunjähriger Sohn. Was
soll ich mit ihm tun, während ich beschützt werde? Ihn ins
Internat stecken?«
»Schauen Sie, ich weiß, wie sich das anhört, und ich weiß, wie
kurzfristig das ist. Wir werden dafür sorgen, dass Sie Ihren Sohn
regelmäßig sehen können, als Ausgleich für den Prozess.«
»Als Ausgleich für den Prozess!« Die Bedeutung seiner Worte
war für Andie wie ein Schlag ins Gesicht. »Es ist erst eine
Woche vergangen. So habe ich mir die Sache ganz und gar nicht
vorgesellt, Agent Pellisante.«
Im Gesicht des FBI-Typen zeigte sich Mitgefühl, aber auch
Hilflosigkeit. »Es tut mir leid, aber Sie haben keine andere
Wahl.«
Ihr Blut pulsierte. Sie hätte sich gleich zu Anfang aus dem
Staub machen können. »Wann?« Andie blickte zu ihm auf, und
auf einmal war ihr klar, was er mit der Beamtin gemeint hatte,
die draußen wartete.
»Tut mir leid, aber es muss gleich sein. Ich muss Sie bitten,
sofort ein paar Sachen zusammenzupacken.«
»Sie machen wohl Witze!« Andie starrte ihn entrüstet an.
»Mein Sohn liegt nebenan im Bett. Was soll ich mit ihm
machen? Das ist doch der Wahnsinn!«
»Gibt es jemanden, der ihn heute Nacht nehmen kann? Jemand
in der Nähe?«
»Meine Schwester wohnt in Queens. Es ist schon zehn Uhr
durch. Was erwarten Sie? Dass ich ihn in ein Taxi setze?«
»Sie können ihn mitnehmen«, räumte der FBI-Typ schließlich
ein. »Aber nur für diese Nacht. Sie müssten dann morgen dafür
sorgen, dass er irgendwo unterkommt.«
»Ihn mitnehmen.« Andie schnitt eine Grimasse. »Wohin?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Ms. DeGrasse. Es ist nicht
weit. Und Sie können ihn ab und zu sehen. Das verspreche ich
Ihnen.«
»Sie meinen es also ernst.« Wieder fuhr sich Andie durch die
Haare.
In dem Moment erblickte sie Jarrod, der im Schlafanzug im
Flur stand. »Was ist denn los, Mom?«
Andie ging zu ihm und legte einen Arm um seine Schultern.
»Dieser Mann ist wegen dem Prozess hier. Er ist vom FBI. Er
hat gesagt, dass wir weggehen müssen. Irgendwohin. Sofort,
heute Nacht.«
»Warum?«, fragte Jarrod, der gar nichts verstand. »Heute
Nacht? Wohin?«
Der FBI-Typ kniete sich nieder. »Das tun wir, damit deine
Mutter zeigen kann, wie mutig sie ist. Das willst du doch, oder?
Du würdest doch auch etwas Mutiges tun, um deine Mutter zu
schützen, oder?«
»Ja.« Jarrod nickte. »Klar würde ich das.«
»Gut.« Er drückte die Schulter des Jungen. »Ich heiße Nick.
Und du?«
»Jarrod.«
»Es wird schon nicht so schlimm werden.« Er lächelte und
zwinkerte Andie zu. »Bist du schon mal in einem Polizeiauto
gefahren, Jarrod?«
Als ich endlich nach Hause kam, war es bereits nach zwei Uhr.
Es war nicht leicht, Menschen spätabends aus ihren Wohnungen zu treiben und ihnen eine Todesangst einzujagen, ohne
ehrlich
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