Patterson James
denkt, du bist schon so weit. Was meinst du?«
»Na ja.« Pavel zuckte mit den Schultern. »Wenn er sagt, dass
ich so weit bin.«
Sie bogen auf die Allenby Street. Die Bahai-Gärten standen in
voller Blüte.
»In Caesaria gibt es ein Spielkasino. Auf dem Rückweg könnten wir anhalten. Man hat mir gesagt, dort wird auch gepokert.
Genau wie bei den Amerikanern. Ich kenne dort einen Mann,
der mir noch einen Gefallen schuldet. Er könnte dich reinlotsen.
Nur zum Zuschauen, versteht sich.«
»Meinst du?«
»Ich weiß nicht.« Sein Vater unterdrückte ein Lächeln. »Ich
bin bekannt dafür, dass ich hier und da ein paar Kontakte habe.«
Sie bogen auf die Hassan Street, wo vor allem Mopeds und
kleinere Lastwagen fuhren. Und Taxis voller Touristen, die vom
Hafen in die Innenstadt wollten.
Meister Abhramovs Akademie lag über einer Pita-Bäckerei,
wo es immer nach süßem Teig roch. Hier, vor diesem baufälligen Haus, hielt Nordeschenko an.
»Streng dich an.« Sein Vater blinzelte ihm zu. »Es steht viel
auf dem Spiel.«
Pavel griff zu seinem Laptop und Notizbuch und stieg aus.
Wie auf Wolke sieben schwebte er durch die Haustür. Als er auf
die Treppe zurannte, versperrte ein Mann seinen Weg.
»Ich fürchte, ich habe mich verlaufen«, sagte er. »Weißt du,
wo die Haaretz Street ist?«
Der Mann war groß und sah gut aus. Er trug ein blaues Hemd
und eine Khakihose, die Augen hatte er hinter einer Sonnenbrille versteckt. Er sprach Englisch wie ein Tourist. Vielleicht war
er Amerikaner.
»Haaretz? Ich glaube, die ist gleich da hinten. Am Ende der
Straße.«
»Kannst du sie mir zeigen?«, bat der Mann. »Ich bin nicht von
hier.«
Abhramov erwartete ihn. Er hatte eineinhalb Stunden Unterricht, und der mürrische, alte Meister duldete kein
Zuspätkommen.
»Gleich hier.« Pavel ging wieder nach draußen und deutete mit
dem Finger in die entsprechende Richtung. »Ganz am Ende. Die
Bäckerei. Sehen Sie sie?«
Das war eins der letzten Dinge, an die er sich erinnerte.
Außer an die Hand, die sich über seinen Mund legte, und den
feuchten Lappen, der nach Chemikalien roch. Und an das
Gefühl der völligen Schwerelosigkeit, als würde ihn jemand
tragen.
Und an die Angst, dass sein Vater wütend sein würde, wenn er
ihn abholen kam, er aber nicht da wäre.
97
»Mira, hör gut zu. Ich kann Pavel nicht finden!«
Nordeschenkos Herz raste. Der Schachlehrer hatte gesagt,
Pavel sei nicht zum Unterricht erschienen. Das sei schon
mehrmals passiert, aber immer nur, wenn Nordeschenko
geschäftlich unterwegs gewesen war. Er durchkämmte die
Straßen rund um die Akademie, kontrollierte alle Eisdielen,
Bäckereien und Pavels Lieblingsplätze. Niemand hatte den
Jungen gesehen.
»Er war nicht da, als ich ihn bei Abhramov abholen wollte. Ich
habe gehofft, er hätte angerufen.«
»Was meinst du?« Seine Frau bekam Panik. »Er wartet doch
immer dort. Er weiß, dass er sich nicht rumtreiben soll.«
»Er war nicht im Unterricht. Fällt dir ein, wo er hingegangen
sein könnte? Irgendwas, wovon er gesprochen hat? Ein
Freund?« Wie oft hatte er den Jungen ermahnt, vorsichtig zu
sein.
»Nein!«, antwortete Mira aufgeregt. »Vielleicht hat er den Bus
genommen. Ein- oder zweimal habe ich ihm das erlaubt.«
»Würde er uns nicht Bescheid geben?«
Im Lauf der Jahre hatte Nordeschenko schon öfter dieses
dumpfe Gefühl gehabt, wenn ein Auftrag nicht klappte. Auch
jetzt hatte er dieses Gefühl.
»Wir müssen die Polizei rufen«, verlangte Mira.
»Nein!« Die Polizei! Das war genau das, was er nicht tun
konnte – die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Jetzt, wo Reichardt bei ihm zu Hause war. Was wäre, wenn man ihn
überprüfte? Er müsste erklären, wo im Ausland er gewesen war.
Und wer sein Besucher war.
Nein, er musste nachdenken. »Du könntest Recht haben mit
dem Bus. Ich werde die Strecke abfahren. Ich rufe dich von
unterwegs noch mal an.«
Nordeschenko schaltete das Telefon aus und fuhr durch die
Altstadt, um seinen Sohn in der Menge zu suchen. Das ist die
Rache, dachte er. Für das, was ich getan habe.
Auf der Hassan Shukri in der Nähe des Memorial Parks überholte er einen Bus und zwang ihn zum Anhalten. »Ich suche
nach meinem Sohn«, rief er dem Fahrer zu und pochte an die
Tür. »Lassen Sie mich rein!«
Die Leute würden in Panik geraten, das wusste er. Man würde
ihn für einen Terroristen halten. »Schauen Sie, ich bin nicht
bewaffnet.« Er streckte seine Arme aus. Endlich öffnete der
Fahrer die Tür.
»Pavel!« Nordeschenko
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