Patterson, James - Alex Cross 02 - Denn Zum Küssen Sind Sie Da
hatte ein ganz besonderes Band zu ihr geknüpft. Sie kam der Geliebten sehr nahe, von der er behauptete, sie zwanghaft zu suchen. Als solche war sie gefährlich für seine besondere Beziehung zu Casanova.
Als er nach Chapel Hill kam, dachte er an seinen »Freund«. Zwischen ihnen hatte sich jetzt etwas verändert, was die Beziehung noch befriedigender machte. Daß sie fast ein Jahr lang voneinander getrennt gewesen waren, hatte ihn gelehrt, die seltsame Beziehung zu schätzen. Sie war stärker denn je. Er konnte mit sonst niemandem sprechen, mit keinem einzigen Menschen. Wie traurig, dachte Rudolph. Wie komisch.
In seinem Jahr in Kalifornien hatte sich Will Rudolph nur allzu gut an die quälende Einsamkeit erinnert, die er als Junge erlebt hatte. Er war in Fort Bragg, North Carolina, aufgewachsen, dann in Asheville. Er war der Sohn eines Colonel, Sohn eines Armeeoffiziers, ein wahrer Sohn des Südens. Von Anfang an war er so schlau gewesen, eine Fassade aufzubauen: Musterschüler, höflich, hilfsbereit, mehr gesellschaftlicher Schliff als alle anderen. Der perfekte Gentleman. Niemand hatte die Wahrheit über seine Wünsche und Bedürfnisse erraten… und genau deshalb war die Einsamkeit so unerträglich gewesen.
Er wußte, wann die Einsamkeit ein Ende genommen hatte. Er wußte genau, wann und wo. Er erinnerte sich an die erste schwindelerregende Begegnung mit Casanova. Sie hatte auf dem Campus der Duke University stattgefunden, und sie war für sie beide gefährlich gewesen.
Wie gut sich der Gentleman an die Szene erinnerte. Er hatte ein kleines Zimmer gehabt, wie jeder andere Student auf dem Campus. Casanova war in einer Nacht weit nach Mitternacht aufgetaucht, eher gegen zwei Uhr morgens. Hatte ihm eine Höllenangst eingejagt.
Er hatte so selbstsicher gewirkt, als Rudolph die Tür aufmachte und ihn sah. Es gab einen spannenden Film namens Cocktail für eine Leiche. Die Szene erinnerte ihn an den Film. »Willst du mich nicht hereinbitten? Ich glaube nicht, daß es dir recht wäre, wenn ich das, was ich zu sagen habe, hier auf dem Flur ausposaune.«
Rudolph hatte ihn eingelassen. Die Tür zugemacht. Sein Herz hämmerte.
»Was wollen Sie? Es ist fast zwei Uhr morgens.«
Wieder das Lächeln. So verdammt überzeugt. Wissend.
»Du hast Roe Tierney und Thomas Hutchinson umgebracht. Du warst ein Jahr lang hinter ihr her. Du hast hier in diesem Zimmer ein zärtliches Andenken an Roe. Ich glaube, es ist ihre Zunge.«
Es war der dramatischste Augenblick im Leben von Will Rudolph. Jemand wußte, wer er war. Jemand war ihm auf die Schliche gekommen.
»Hab keine Angst. Ich weiß außerdem, daß sie dir die Morde niemals beweisen können. Du hast perfekte Verbrechen begangen. Na ja, fast perfekt. Herzlichen Glückwunsch.«
Rudolph hatte seinem Ankläger ins Gesicht gelacht, so gut er unter den Umständen schauspielern konnte. »Sie haben völlig den Verstand verloren. Bitte, gehen Sie jetzt. So etwas Verrücktes habe ich noch nie gehört.«
»Ja, das stimmt«, sagte der Ankläger, »aber du hast dein Leben lang darauf gewartet, es zu hören… Ich will dir noch was sagen, was du schon immer hören wolltest. Ich verstehe, was du getan hast und warum. Ich habe so etwas auch schon getan. Ich bin dir sehr ähnlich, Will.«
Rudolph hatte sofort eine starke Verbindung gespürt. Die erste echte menschliche Bindung in seinem Leben. Vielleicht war das Liebe? Empfanden gewöhnliche Menschen soviel mehr als er? Oder machten sie sich etwas vor? Schufen um den banalen Austausch von Körperflüssigkeiten herum grandiose romantische Phantasien?
Er war am Ziel, ehe er es richtig mitbekam. Er parkte das Auto unter einer hohen, alten Ulme und schaltete die Scheinwerfer aus. Auf der Veranda von Kate McTiernans Haus standen zwei schwarze Männer. Einer war Alex Cross.
91. Kapitel
Kurz nach zehn fuhren Sampson und ich eine dunkle, kurvenreiche Straße am Rand von Chapel Hill entlang. Es war für uns beide ein langer Arbeitstag gewesen. Am Abend hatte ich Sampson zu Seth Samuel Taylor mitgenommen. Wir hatten außerdem mit Seths ehemaligem Lehrer gesprochen, Dr. Louis Freed. Ich trug Dr. Freed meine Theorie über das »verschwundene Haus« vor; er war damit einverstanden, mir bei der Suche nach diesem Ort mit wichtigen Recherchen zu helfen.
Ich hatte Sampson noch nicht viel über Kate McTiernan erzählt. Es war jedoch Zeit, daß sie sich kennenlernten. Ich wußte nicht genau, worum es bei unserer Freundschaft ging, und Kate wußte es
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