Patterson, James - Alex Cross 02 - Denn Zum Küssen Sind Sie Da
Durham wurde gefährlich. Er war tatsächlich ein »Reviertäter«. Er wußte, wie sie ihn in ihrer Terminologie nannten. Schließlich würde jemand das Haus finden. Oder noch schlimmer, vermutlich würde ihn jemand durch einen blöden Zufall finden.
Ja, es war an der Zeit, weiterzuziehen. Vielleicht sollten er und Will Rudolph nach New York City ziehen, dachte er. Oder in das sonnige Florida, das Ted Bundy angezogen hatte? Arizona könnte angenehm sein. Sie könnten den Herbst in Tempe oder Tucson verbringen… Universitätsstädte, in denen es an Beute wimmelte. Oder vielleicht sollten sie sich in der Nähe eines riesigen Campus in Texas niederlassen. Austin galt als hübsch. Oder Urbana, Illinois? Madison, Wisconsin? Columbus, Ohio?
Eigentlich wollte er lieber nach Europa, nach London, München oder Paris. Seine Version einer Europarundreise. Die Wunderkinder auf Tournee. Wer mußte sich schon Bram Stokers Dracula im Kino anschauen, wenn es reale Ungeheuer gab, die Tag und Nacht das Land durchstreiften?
Casanova fragte sich, ob es jemandem gelungen war, ihm in das Labyrinth des Medical Center zu folgen. Vielleicht Alex Cross? Es war eine Möglichkeit. Dr. Cross verfügte über relativ eindrucksvolles Stehvermögen. Er hatte in D. C. diesen phantasielosen Kinderschänder, diesen hundsgewöhnlichen Psychokiller gefaßt. Cross mußte eliminiert werden, ehe er und Will Rudolph die Gegend verließen, unterwegs zu größeren, besseren Taten. Sonst würde er ihnen zur Hölle und zurück folgen. Casanova betrat Gebäude zwei des Krankenhauslabyrinths. Er war auf dem Weg zur Leichenhalle des Krankenhauses, wo es meistens leerer war als anderswo.
Er warf einen Blick zurück in den langen, eierschalenfarbenen Flur hinter ihm. Keine Verfolger. In dieser Zeit ohne Mumm und Verstand war niemand auf die Idee gekommen, ihm aufzulauern.
Vielleicht wußten sie noch nicht über ihn Bescheid. Vielleicht hatten sie noch nichts herausbekommen. Aber schließlich würde es so kommen. Es gab Anhaltspunkte. Es ließ sich alles bis zu Roe Tierney und Tom Hutchinson zurückverfolgen. Der unaufgeklärte Mord an dem Goldpaar. Der Anfang zwischen ihm und Will Rudolph. Gott, war er froh, daß sein Freund wieder da war. Er fühlte sich immer besser, wenn Rudolph in seiner Nähe war. Rudolph verstand wirklich etwas vom Begehren, etwas von äußerster Freiheit.
Rudolph verstand ihn, wie ihn sonst nie jemand verstanden hatte. Casanova rannte einen auf Hochglanz gebohnerten Flur im Gebäude zwei des Medical Center entlang. Als er schneller wurde, hallten seine klatschenden Schritte auf den leeren Korridoren wider. Kurz darauf war er im Gebäude vier an der Nordwestseite des Krankenhauses. Er sah sich noch einmal um.
Niemand war ihm gefolgt. Niemand hatte richtig geraten. Vielleicht würden sie nie darauf kommen.
Casanova kam hinaus auf den hell, fast orangerot erleuchteten Parkplatz. Ein schwarzer Jeep parkte in der Nähe des Gebäudes, und Casanova stieg lässig ein.
Der Jeep hatte eine vom Staat North Carolina ausgegebene Ärzteplakette. Wieder eine Maske.
Casanova fühlte sich wieder stark und selbstsicher. Heute abend fühlte er sich wunderbar frei und lebendig. Ein Hochgefühl; es konnte eine der schönsten Stunden in seinem Leben werden. Er hatte das Gefühl, er könne durch die seidige schwarze Nacht fliegen. Er brach auf, um sich sein Opfer zu holen. Dr. Kate McTiernan war wieder an der Reihe. Sie hatte ihm so gefehlt. Er liebte sie.
90. Kapitel
Der Gentleman war auch unterwegs. Dr. Will Rudolph pirschte sich unaufhaltsam durch die Nacht an seine ahnungslose Beute heran. Seine Körpersäfte kamen in Wallung. Flossen über. Er würde einen Hausbesuch machen, wie sich das für einen erstklassigen Arzt gehörte, jedenfalls für einen Arzt, dem wirklich etwas an seinen Patienten lag.
Casanova wollte nicht, daß er sich auf den Straßen von Durham oder Chapel Hill herumtrieb. Er hatte es ihm sogar verboten. Das war verständlich, bewundernswert, aber unmöglich. Sie arbeiteten wieder zusammen. Außerdem war die Gefahr bei Nacht minimal, und die Belohnung überstieg das Risiko bei weitem. Die nächste Szene des Dramas mußte genau richtig gespielt werden, und er war derjenige, der das konnte. Dessen war sich Will Rudolph sicher. Er schleppte keinen emotionalen Ballast mit sich herum. Hatte keine Achillesferse. Casanova hatte eine… Sie hieß Kate McTiernan.
Auf seltsame Weise, dachte er, war sie zu seiner Rivalin geworden. Casanova
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