Patterson, James - Alex Cross 02 - Denn Zum Küssen Sind Sie Da
gerissen.«
»Da hörst du’s. Er ist gerissen«, flüsterte Sampson. Nie um Worte verlegen.
»Er ist im Haus! Er ist jetzt hier!« rief eine der Frauen warnend.
Sampson stand immer noch dicht hinter mir. »Willst du weiter die Spitze übernehmen, Partner? Auf dem Grat entlanggehen?«
»Ich will derjenige sein, der sie findet«, sagte ich. »Ich muß Scootchie finden.«
Er widersprach nicht. »Meinst du, unser Freund ist irgendwo hier unten? Casanova?« flüsterte er.
»Den Gerüchten nach ja«, sagte ich und ging langsam weiter. Wir hatten beide die Pistolen schußbereit. Wir hatten keine Ahnung, worauf wir uns gefaßt machen mußten. Wartete unser Freund auf uns?
Beweg dich! Beweg dich! Beweg die Beine! Ich ging als erster aus dem Wohnzimmer hinaus. An der Decke des Flurs, der sich daran anschloß, hingen moderne Lampen. Wo bekam er hier Strom her?
Ein Transformator? Ein Generator? Was sollte mir das sagen? Daß er ein geschickter Handwerker war? Daß er Beziehungen zum hiesigen Elektrizitätswerk hatte?
Wie lange hatte es gedauert, den Keller in diesen Zustand zu bringen? fragte ich mich. Ihn so herzurichten? Damit er seine Phantasien verwirklichen konnte?
Das Haus war geräumig. Wir bogen in einen langen Flur ein, der vom Wohnzimmer aus in Windungen nach rechts führte. Auf beiden Seiten waren Türen, von außen verriegelt wie Gefängniszellen.
»Halt mir den Rücken frei«, sagte ich zu Sampson. »Ich gehe durch die erste Tür.«
»Ich halte dir immer den Rücken frei«, flüsterte er. »Paß aber auch auf dich auf.«
Ich ging zur ersten Tür. »Hier ist die Polizei«, rief ich. »Ich bin Detective Alex Cross. Alles wird gut werden.« Ich riß die erste Tür auf und schaute hinein. Ich wünschte mir, daß es Naomi war. Ich betete, daß sie es war.
107. Kapitel
»Solche Vollidioten«, sagte der Gentleman, intolerant und ungeduldig wie immer. »Zwei Karnevalsnarren mit geschwärzten Gesichtern.«
Casanova lächelte dünn. Der Gentleman nervte ihn. »Was zum Teufel hast du erwartet? Gehirnchirurgen vom Walter Reed in Washington? Das sind zwei gewöhnliche Straßenpolizisten.«
»Vielleicht nicht ganz so gewöhnlich. Sie haben das Haus gefunden, nicht wahr? Und jetzt sind sie drin.«
Die beiden Freunde beobachteten alles von einem nahen Versteck im Wald aus. Sie waren den Detectives den ganzen Nachmittag gefolgt, hatten sie mit Ferngläsern beobachtet. Sie machten Pläne, spielten aber auch mit ihrer Beute. Sie waren vorsichtig, während sie sich der letzten Konfrontation näherten.
»Warum haben sie die anderen nicht mitgebracht? Warum nicht das FBI?« fragte Rudolph. Er war immer wißbegierig und sehr logisch. Eine Logikmaschine, eine Mordmaschine, eine Maschine, die ohne menschliches Herz lief.
Casanova schaute wieder durch das starke deutsche Fernglas. Er sah die offene Falltür, die in das unterirdische Haus führte, in das Meisterwerk, das er und Rudolph von Hand gebaut hatten.
»Das liegt an ihrer Polizistenarroganz«, beantwortete er schließlich Rudolphs Frage. »In gewisser Hinsicht sind sie wie wir. Cross ist etwas Besonderes. Er traut nur sich und niemandem sonst.«
Er warf Rudolph einen Blick zu, und beide Männer lächelten. Was für eine hübsche Ironie. Die beiden Detectives gegen sie beide.
»Cross glaubt vermutlich, daß er uns versteht, das heißt, unsere Beziehung«, sagte Rudolph. »Vielleicht versteht er ein bißchen was davon.« Er war seit dem knappen Entkommen in Kalifornien paranoid, was Alex Cross anlangte. Schließlich hatte Cross ihn aufgespürt, und das hatte ihm angst gemacht. Aber der Gentleman sah in Cross außerdem einen interessanten Gegner. Er genoß den Wettkampf, den blutigen Sport.
»Er versteht etliches, er sieht Muster, deshalb glaubt er, mehr zu wissen, als er tatsächlich weiß. Hab nur Geduld, dann stellen wir Cross’ Schwächen bloß.«
Solange sie geduldig waren, glaubte Casanova, solange sie alles gründlich durchdachten, würden sie gewinnen; sie würden niemals gefaßt werden. So war es jahrelang gewesen, seit ihrer ersten Begegnung an der Duke University.
Casanova wußte, daß Will Rudolph in Kalifornien leichtsinnig gewesen war. Diesen beunruhigenden Hang hatte er schon als brillanter Medizinstudent gehabt. Er war ungeduldig und war schlampig und melodramatisch vorgegangen, als er Roe Tierney und Tom Hutchinson umbrachte. Damals wäre er fast erwischt worden. Die Polizei hatte ihn verhört, er war ein Hauptverdächtiger in dem berühmten
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