Patterson, James - Alex Cross 02 - Denn Zum Küssen Sind Sie Da
hochgerollt. Durch und durch ein Produkt der Universität Stanford. Er bat mich, ihn Dan zu nennen. Okay, ich hatte nichts dagegen. Er klang nett. Hatte vermutlich mindestens einen Pulitzerpreis.
Ich erzählte ihm von Naomi, von meiner Beteiligung am Fall Casanova in North Carolina. Ich erzählte ihm außerdem, daß Naomi im Tagebuch aus L. A. erwähnt worden war.
»Es tut mir leid, daß Ihre Nichte verschwunden ist«, sagte Dan Hills. »Ich kann mir vorstellen, was Sie durchmachen.« In der Leitung entstand eine Pause. Ich befürchtete, Dan wolle mir mit politischer oder gesellschaftlicher Korrektheit kommen. »Beth Lieberman ist eine gute junge Reporterin«, fuhr er fort. »Sie ist hart, aber professionell. Für sie ist das eine große Story, und für uns auch.«
»Hören Sie«, schnitt ich Hills das Wort ab – ich mußte es tun. »Naomi hat mir während ihrer Schulzeit fast jede Woche einen Brief geschrieben. Ich habe die Briefe alle aufgehoben. Ich habe dabei geholfen, sie aufzuziehen. Wir stehen uns nahe. Das bedeutet mir sehr viel.«
»Ich höre Sie. Ich will sehen, was ich tun kann. Aber ich kann Ihnen nichts versprechen.«
»Sie haben mir nichts versprochen, Dan.«
Dan Hills hielt Wort und rief mich eine Stunde später im Büro des FBI zurück. »Wir haben hier eine Konferenz abgehalten«, sagte er zu mir. »Ich habe mit Beth gesprochen. Sie können sich vorstellen, daß das eine schwierige Situation für uns beide war.«
»Ich verstehe, was Sie mir sagen wollen«, sagte ich. Ich polsterte mich gegen einen Schlag ab, aber es kam anders. »In den unzensierten Fassungen des Tagebuches, das ihr der Gentleman geschickt hat, wird Casanova erwähnt. Es klingt, als ob die beiden miteinander sprächen, vielleicht sogar über ihre Abenteuer. Fast, als ob sie Freunde wären. Es wirkt, als ob sie aus irgendeinem Grund miteinander kommunizierten.«
Bingo!
Die Ungeheuer hatten Kontakt.
Jetzt glaubte ich zu wissen, was das FBI geheimgehalten hatte, was nicht herauskommen sollte. Es gab Serienmörder an beiden Küsten.
44. Kapitel
Lauf! Los! Reiß dir beim Rennen den Arsch auf! Zum Teufel, nichts wie raus hier!
Kate McTiernan wankte durch die schwere Holztür, die er hinter sich offengelassen hatte.
Sie wußte nicht, wie schwer Casanova verletzt war. Ihr einziger Gedanke galt der Flucht. Los jetzt! Hau ab, solange du es kannst.
Ihr Kopf spielte ihr Streiche. Verwirrende Bilder kamen und gingen, ohne die richtigen Zusammenhänge. Das Mittel, was auch immer es sein mochte, forderte seinen vollen Tribut. Sie war desorientiert.
Kate berührte ihr Gesicht und merkte, daß ihre Wangen naß waren. Weinte sie? Sie wußte es nicht genau. Sie war kaum fähig, eine steile Holztreppe vor ihrer Tür hinaufzusteigen. Führte die Treppe in ein anderes Stockwerk? War sie eben diese Treppe hinaufgestiegen? Sie konnte sich nicht daran erinnern. Sie konnte sich an gar nichts erinnern. Sie war jetzt hoffnungslos durcheinander und verwirrt. Hatte sie Casanova tatsächlich zu Boden geschlagen, oder hatte sie Halluzinationen?
Verfolgte er sie? Raste er jetzt hinter ihr die Treppe hinunter? In ihren Ohren pulsierte das Blut. Ihr war so schwindlig, daß sie fast hingefallen wäre.
Naomi, Melissa Stanfield, Christa Akers. Wo wurden sie gefangengehalten?
Kate hatte auf dem Weg durch das Haus ungeheure Schwierigkeiten. Sie torkelte wie betrunken den langen Flur entlang. In was für einem merkwürdigen Gebäude war sie? Es sah aus wie ein Haus. Die Wände waren neu, erst vor kurzem gebaut, aber was war das für eine Art Haus?
»Naomi!« rief sie, aber ihre Stimme gab so gut wie kein Geräusch von sich. Sie konnte sich nicht konzentrieren, konnte nur sekundenlang klar sehen. Wer war Naomi? Sie konnte sich nicht genau daran erinnern.
Sie blieb stehen und zerrte heftig an einem Türknauf. Die Tür ging nicht auf. Warum war die Tür abgeschlossen? Was in aller Welt hatte sie hier verloren? Wie war sie hierhergekommen? Die Drogen ließen nicht zu, daß sie klar dachte.
Ich gerate in einen Schockzustand, in ein Trauma, dachte sie. Ihr war jetzt so kalt, sie fühlte sich so betäubt. Alles, was galoppieren konnte, galoppierte unkontrolliert in ihrem Kopf herum. Er kommt, um mich umzubringen. Er kommt von hinten! Flucht! befahl sie sich. Finde den Weg hinaus. Konzentriere dich darauf! Du kannst mit Hilfe zurückkommen. Sie kam zu einer weiteren Holztreppe, die alt aussah, wie aus einer anderen Epoche. Verkrusteter Dreck war darauf. Erde.
Weitere Kostenlose Bücher