Patterson, James - Alex Cross 02 - Denn Zum Küssen Sind Sie Da
Augenblicken tat sie, was sie konnte, um die Ängste der Angehörigen der vermißten Frauen zu lindern. Sie betonte noch einmal, sie sei nur verletzt worden, weil sie gegen die von Casanova aufgestellten Hausregeln verstoßen hatte. Ich dachte, vielleicht gelte die Nachricht auch ihm. Gib mir die Schuld, nicht den anderen Frauen.
Während ich Kate beim Sprechen zuschaute, stellte ich mir etliche Fragen: Entführt er nur außergewöhnliche Frauen? Nicht einfach nur Schönheiten, sondern Frauen, die in jeder Hinsicht etwas Besonderes sind? Was hatte das zu bedeuten? Worauf hatte Casanova es abgesehen? Was für ein Spiel trieb er? Ich hatte den Verdacht, der Mörder sei besessen von körperlicher Schönheit, könne aber die Nähe von Frauen nicht ertragen, die nicht so intelligent waren wie er. Ich witterte außerdem, daß er sich dazu nach Intimität sehnte.
Schließlich kam Kate zum Ende. In ihren Augen glitzerten Tränen wie vollkommene Glastropfen. »Ich bin jetzt fertig«, sagte sie mit leiser Stimme. »Ich danke Ihnen dafür, daß Sie den Angehörigen der vermißten Frauen diese Nachricht übermitteln. Ich hoffe, es war eine kleine Hilfe. Jetzt bitte keine Fragen. Ich kann mich immer noch nicht an alles erinnern, was mir zugestoßen ist. Ich habe Ihnen gesagt, was ich kann.«
Anfangs entstand ein unnatürliches Schweigen. Keine einzige Frage wurde gestellt. Kate hatte sich in diesem Punkt ganz deutlich ausgedrückt. Dann klatschten die Reporter und das Krankenhauspersonal. Sie wußten genau wie Casanova, daß Kate McTiernan eine außergewöhnliche Frau war.
Eine Angst ließ mich nicht los. War Casanova hier und klatschte auch?
53. Kapitel
Um vier Uhr morgens packte Casanova Essen und Vorräte in einen funkelnagelneuen grüngrauen Rucksack. Er brach auf zu seinem Versteck, zu einem Morgen lang erwarteter Freuden. Er hatte sich für seine verbotenen Spiele sogar einen Slogan ausgedacht: denn zum Küssen sind sie da.
Auf der Autofahrt und auf der Wanderung durch den dichten Wald phantasierte er über Anna Miller, seine neueste Gefangene. Er stellte sich immer wieder vor, was er heute mit Anna machen würde. Er erinnerte sich an etwas, an ein wunderbares, passendes Zitat von F. Scott Fitzgerald: »Der Kuß entstand, als das erste männliche Reptil das erste Weibchen leckte und dem Weibchen auf schmeichelhafte Weise zu verstehen gab, es sei so wohlschmeckend wie das kleine Reptil, das am Vorabend vom Männchen verspeist worden war.« Alles rein biologisch, nicht wahr?
Tick-fick.
Als er schließlich im Versteck ankam, drehte er die Stones auf volle Lautstärke. Das unvergleichliche Album »Beggars Banquet«. Heute mußte er laute, asoziale Rockmusik hören. Mick Jagger war fünfzig, nicht wahr? Er war erst sechsunddreißig. Jetzt war er am Drücker.
Er posierte nackt vor einem hohen Spiegel und bewunderte seine schlanke, muskulöse Physis. Er kämmte sich das Haar. Dann schlüpfte er in einen schimmernden, handbemalten Seidenmantel, den er einmal in Bangkok gekauft hatte. Er ließ ihn offen, um sich zu zeigen.
Er wählte eine andere Maske aus, eine schöne aus Venedig, die er für einen besonderen Anlaß gekauft hatte. Für einen geheimnisvollen Augenblick der Liebe. Schließlich war er bereit, Anna Miller zu besuchen.
Anna war so hochmütig. Absolut unberührbar. Körperlich exquisit. Er mußte ihren Willen schnell brechen. Nichts kam diesem körperlichen und emotionalen Gefühl gleich: Adrenalinstöße, lauter Herzschlag, Hochstimmung im ganzen Körper. Er hatte in einer Thermosflasche warme Milch mitgebracht. Außerdem ein Weidenkörbchen mit einer besonderen Überraschung für Anna.
Eigentlich war es etwas, das er für Dr. Kate geplant hatte. Er hatte diesen Augenblick mit ihr teilen wollen.
Er hatte die laute Musik aufgelegt, damit Anna wußte, es würde Zeit. Es war ein Signal. Er war bestens auf Anna vorbereitet. Thermosflasche mit warmer Milch. Langer Gummischlauch mit Düse. Niedliches Geschenk im Weidenkörbchen. Das Spiel konnte beginnen.
54. Kapitel
Casanova konnte den Blick nicht von Anna Miller wenden. Die Luft um ihn herum schien zu dröhnen. Alles war geladen mit hohen Erwartungen. Er kam sich mehr als bloß ausgerastet vor. Nicht wie er selbst. Eher wie der Gentleman. Er sah hinunter aufsein Kunstwerk- seine Kreation. Ein Gedanke ging ihm immer wieder durch den Kopf: So hat Anna noch für niemanden ausgesehen.
Anna Miller lag auf dem kahlen Holzboden des Zimmers im unteren Stock. Sie war
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